August 1941: Der Desna-Übergang der 260. Infanteriedivision

In den letzten Augusttagen des Jahres 1941 versuchten die Sowjets die beiderseits Gomel nach Süden vorstoßenden deutschen Divisionen aufzuhalten, um die Einkesselung der bei Kiew am Dnjepr kämpfenden Truppen zu verhindern.

Zahlreiche deutsche Divisionen wurden nach der Einnahme von Smolensk in südöstliche Richtung abgedreht, anstatt den Vormarsch nach Moskau fortzusetzen, wie es die Russen erwartet hatten. Dadurch entstanden für den russischen Marschall Budjonny eine schwierige Lage und die Gefahr der Umfassung seiner gesamten Heeresgruppe. Unter den Divisionen die auf Tschernihiw vor stießen waren von West nach Ost die 134. Infanteriedivision, die 17. Infanteriedivision und die 260. Infanteriedivision sowie die 1. Kavalleriedivision. Je mehr sich die deutschen Divisionen der Desna näherten, umso hartnäckiger wurde der russische Widerstand.

Oberst Wenninger

Oberst Wenninger

Im Rahmen der 260. Infanteriedivision, die der württembergische Generalleutnant Schmidt führte, waren zunächst nach der Überschreitung des Sosh bei Gomel die Infanterieregimenter 480 rechts und 460 links eingesetzt. Das Reserveregiment 470 folgte über Gorodoja. Nach Gorodoja wurde das Infanterieregiment 470 dann im Gefechtsstreifen des Infanterieregiments 460 eingesetzt. Aber schon am nächsten Tag, dem 27. August, fiel der Regimentskommandeur Oberst Wenninger infolge eines Zusammenbruchs aus.

Der ununterbrochene Vormarsch mit Marschleistungen von 50 bis 60 Kilometern täglich auf schlechten Wegen, die zusätzliche Nachtarbeit die für die Erteilung der Regimentsbefehle notwendig war und nicht zuletzt die Verantwortung für das Regiment waren Anstrengungen, denen sein Gesundheitszustand nicht mehr gewachsen war.

Es war eine besondere Tragik, dass das Regiment 470 in diesen entscheidenden Tagen vor und während des Desna-Übergangs innerhalb von 4 Tagen den 4. Regimentskommandeur erhielt.

Nachfolger in der Regimentsführung wurde Oberstleutnant Voigt, Kommandeur des I. / Infanterieregiment 470 und dienstältester Offizier des Regiments.

Bei Kisselewka

Bei Kisselewka

In der Nacht vom 28. zum 29. August bekam das in vorderster Linie eingesetzte Regiment den Befehl, den Desna-Übergang bei Kisselewka zu erzwingen und einen Brückenkopf beiderseits Wibli zu bilden. Das Infanterieregiment 470 war am weitesten vorgedrungen, während Infanterieregiment 480 die rechte Flanke sicherte. Bis zur Desna war es noch ein weiter Weg. Im Laufe des 29. August hatte das IR 470 Dobrownoje erreicht, während die Nachbardivision noch zurück hing.

Als das II. / Infanterieregiment 470 am Morgen des 30. August die Höhe beiderseits Tschernysch überschreiten wollte, setzte heftiges russisches Artilleriefeuer ein. Gerade in diesem Moment traf der Regimentsadjutant, Hauptmann Gebhardt mit dem Regimentsbefehl für den Desna-Übergang ein.

Das gewaltsame Überwinden eines Wasserlaufes ist immer ein heikles Unternehmen, dessen Gelingen das Zusammenwirken einer Reiche taktischer und technischer Fragen erfordert. Laut Vorschrift soll der Übergang in genügend breiter Front unternommen werden, um das Zusammenfassen des gegnerischen Feuers zu vermeiden. Da aber das Regiment 470 alleine vorne war und die Nachbarn rechts und links zurück hingen, sollte das II. Bataillon den Übergang bei Kisselewka und das I. Bataillon den Übergang rechts davon erzwingen. Schlauchboote des Pionierzuges wurden zugeführt und die Zusammenarbeit mit den schweren Waffen und der Artillerie besprochen. Die Fortsetzung des Angriffs wurde auf 10:00 Uhr festgesetzt.

Erstaunlich gut gelang dem II. Bataillon unter Führung von Major Baur der Vorstoß bis zur Desna. Doch nun setzten die Schwierigkeiten ein. Rotarmisten hatten MG-Nester am jenseitigen Ufer besetzt. Die Schlauchboote waren noch nicht zur Stelle, da sprang ein Leutnant kurz entschlossen ins Wasser, schwamm ans andere Ufer und holte einen Kahn vom Südufer. Mit Hilfe des Kahns setzten eine Kompanie, der Bataillonskommandeur und der Divisionskommandeur über, um einen ersten, kleinen Brückenkopf zu bilden. Die russischen Beobachtungsstellen müssen zu diesem Zeitpunkt geraden einen Stellungswechsel durchgeführt haben, denn es war auffallend ruhig. Kurze Zeit danach, als der Abteilungskommandeur der schweren Artillerie eine B-Stelle in der Nähe der Kirche von Kisselewka suchte, setzte das Feuer der gegnerischen Artillerie wieder ein und ein Volltreffer tötete ihn auf der Stelle.

Mit Hilfe der Schlauchboote setzte das II. Bataillon über und wenig später gelang auch dem I. Bataillon unter Führung von Hauptmann Strohm der Übergang unter geringen Verlusten. Als der Regimentsadjutant von Kisselewka aus dem Chef des Stabes – Oberst i.G. Köstlin – fernmündlich den geglückten Übergang des II. Bataillons meldete, war dieser freudig überrascht. Noch im Laufe derselben Nacht vom 30. auf den 31. August wurde der Brückenkopf mit 3 Bataillonen beiderseits Wibli gebildet.

Wie groß dieser Erfolg war wurde dem Regiment erst bewusst als der Ia am Telefon sagte, das Korps habe es nicht glauben wollen und bei der Armee habe man einen Freudensprung getan. Doch für das Infanterieregiment 470 kamen noch schwierige Tage. Als am 30. August nachmittags der Regimentsführer Oberstleutnant Voigt übersetzten wollte, erfolgte ein russischer Tieffliegerangriff auf die Übergangsstelle. Beim Sprung in ein Deckungsloch zog sich der Regimentsführer einen doppelten Knochenbruch zu. Am Abend traf Oberstleutnant Glaesemer, der Kommandeur der Aufklärungsabteilung 260 als neuer Regimentsführer ein. Aber auch sein Gastspiel war von kurzer Dauer, am nächsten Tag bereits wurde er zu einer Panzereinheit versetzt und Oberstleutnant Grosser vom Infanterieregiment 460 übernahm die Führung.

Da das Gelände zwischen Kisselewka und Wibli sumpfig und die Wege schlammig waren, kamen die schweren Infanteriewaffen erst gegen Morgen nach. Das I. Bataillon, welches Podgornoje – westlich von Wibli – zur Verbreiterung des Brückenkopfes besetzten sollte, konnte den Ort erst im Morgengrauen in Besitz nehmen. Zwei Tage lang hielt das Infanterieregiment 470 den Brückenkopf gegen Tag- und Nachtangriffe der Russen, die auch Panzer einsetzten um vor allem bei Podgornoje den deutschen Brückenkopf wieder einzudrücken. Nach 48 Stunden wurde das Infanterieregiment 480 auf dem rechten Flügel des Brückenkopfes eingesetzt. Sechst Tage lang versuchten die Sowjets immer wieder einen Durchbruch zu erzwingen. Inzwischen war die Brücke fertig gestellt, der Nachschub klappte und auch die 131. Infanteriedivision konnte bei Kowteshin den Desna-Übergang erzwingen. Die rechte Nachbardivision lag immer noch vor Tschernigow fest.

Als die 260. Infanteriedivision am 5. September 1941 den Angriff aus dem Brückenkopf Wibli fortsetzte und bei Krassnoje die Rollbahn Tschernigow – Kiew erreichte, bot sich ein unvergesslicher Anblick: ein Trümmerhaufen bestehend aus Waffen, Munition, Fahrzeugen, toten Soldaten und Pferden lag an der Desna. Der Ring um Kiew war geschlossen. Die Stadt Kiew fiel am 19. September und der deutsche Wehrmachtsbericht meldete 675.000 Gefangene. Marschall Budjonny begab sich am Vorabend der Einnahme nach Moskau. Er war über die Niederlage in dieser Schlacht völlig verzweifelt und wollt im Arbeitszimmer Stalins Selbstmord begehen. Er ließ sich von Stalin beruhigen und übernahm schließlich die Aufstellung vor Ersatzheeren.

Der Desna-Übergang der 260. Infanteriedivision wurde durch die Verleihung des Ritterkreuzes an General Schmidt belohnt. Diese Auszeichnung erfüllte alle Soldaten der Division mit besonderem Stolz.

Dr. Gebhardt

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