Oktober 1942: Mit Lili Marleen auf dem rechten Weg – 1942 auf dem Rückzug südwestlich von Moskau

Von Polen aus waren wir mir der bespannte Sanitätskompanie auf Sandwegen viele hundert Kilometer durch Russland marschiert.

Nachts konnten wir schon die russischen Scheinwerfer um Moskau sehen. Anstatt der erwarteten Winterquartiere gab es aber den Rückmarsch durch tiefen Schnee bei grimmiger Kälte von mehr als – 30 Grad (soweit reichte unser Thermometer bei den Minusgraden). In verschlissenen Uniformen, ohne Winterbekleidung mussten sich unsere Landser gegen den nachdrängenden Russen zur Wehr setzen. Die Infanteriekompanien soweit sie noch vorhanden, verfügten selten noch über eine Kampfkraft von 20 Mann und mehr.

bespannte Sanitäter

bespannte Sanitäter

Mit einer Sanitätsgruppe war ich ununterbrochen seit 02. Oktober im Einsatz. Wir mussten als vorgeschobener Wagenhalteplatz meist ein bis zwei Infanterieregimenter versorgen. Mit dem landesüblichen Panjeschlitten, gezogen von Pferden, transportierten wir Verwundete, Kranke und die vielen Landser mit erfrorenen Füßen zum Hauptverbandsplatz. Die wenigen noch vorhandenen Krankenkraftwagen wollte man vorne, nahe am Feind, nicht mehr einsetzen, weil sie dringend zum Abtransport vom Hauptverbandsplatz zu den schon weit abgesetzten hinteren Lazaretten benötigt wurden.

Aus einem schon von Russen besetzten Dorf hatten wir uns in der Nacht abgesetzt. Auf dem oft vom Schnee verwehten Weg blieben vor uns Panzerjäger, frisch aus der Heimat gekommen, mit neuen Fahrzeugen immer wieder stecken. Im Morgengrauen gelang es uns, querfeldein vorbei zu kommen. Wie wir später erfuhren, sollen die überholten Fahrzeuge Beute der Russen geworden sein.

Eben hatten wir uns in einem Haus aufgewärmt, als ein neuer Einsatzbefehl zum Infanterieregiment 470 kam, dass eine neue Hauptkampflinie am Ostrand einer russischen Kleinstadt halten sollte. Verwundete und Kranke sollte direkt zu einem behelfsmäßigen Lazarettzug gebracht werden, den wir an einer Bahnstation südwestlich des Städtchens fanden. Durch den Wald ging ostwärts ein Trampelpfad, der in Kürze zum Regimentsstab 470 führen sollte.

Während meine Männer ins nahe Städtchen zogen, machte ich mich auf den Weg zum Regiment. Obwohl es gerade Mittag war, wurde es schon dunkel, da im ganzen von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet die gleich Uhrzeit eingeführt war, so dass bei uns in der Nähe Moskaus, der Tag von 05:00 Uhr bis 13:00 Uhr dauerte. Während ich längere Zeit den Pfad entlang ging, wurde es schnell dunkler und ich wurde unsicher, ob ich auf dem richtigen Weg war. Endlich konnte ich einige tief verschneite kleine Häuser vor mir erkennen und auch einen Posten, der sich die Füße warm trat. Hinter einen Baum wartete ich. Tatsächlich er hatte einen russischen Soldatenmantel an, dazu eine Pelzmütze wie ein Russe. Noch hatte er mich nicht gesehen, Ich überlegte: mancher Landser trug die wärmere russische Winterbekleidung. Nirgends hatte ich eine Abzweigung vom Trampelpfad erkannt. Der Weg war aber viel weiter gewesen, als mir angegeben worden war. Als der Posten in die andere Richtung ging, schlich ich in den Hausschatten, um dort vielleicht ein taktisches Zeichen an den herumstehenden Fahrzeugen zu erkennen. Vergeblich, nur schneebedeckte Panjefahrzeuge standen dort.

Inzwischen war der Posten wieder zurück gekommen. Ich kauerte an der Hauswand, bereit, sobald er wieder in die andere Richtung ging, zurück zu schleichen. Da ging im Hause eine Türe auf, und ich hörte leise Radiomusik – und dann deutlich – „Wie einst Lili Marleen!“… Das Lied, das uns dort im Elend des Rückzugs mehr gab als die Wehrmachtberichte, die meist große Erfolge an anderen Fronten erwähnten, während für unseren Frontabschnitt nur wenige, für uns aber vielsagende  Wort übrig blieben.

Wagenhalteplatz

Wagenhalteplatz

Es war klar: Beim Russen durfte ein solcher Sender nicht eingeschaltet werden. Drinnen nahmen Major Baur und sein Adjutant Hauptmann Dr. Gebhardt dankend meine Meldung an. Nach einigen Minuten ging ich erleichtert auf dem gleichen Weg zurück. Meine Männer hatten sich in einem Holzhaus schon ein Feuer gemacht. Glücklicherweise blieb es vorne ruhig. Bis auf den Posten der zweistündig abgelöst wurde, konnten wir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine Nacht richtig schlafen. Auch am Tag war es ruhig, und wir wären gerne noch geblieben. Dann aber riefen uns einige vorbeikommende Landser zu, ob wir beim Russen bleiben wollten, sie seien die Letzten! So schnell hatten wir noch selten abgebaut, und unbelästigt ging’s ab in Richtung Westen. Eine Benachrichtigung des Wagenhalteplatzes hatte man vergessen!

Die nächste HKL in Ostroshnoje musste länger gehalten werden und brachte für das Infanterieregiment 470 große Verluste. Außer vielen anderen fiel dort ein Sanitäter, der in Frankreich mein Putzer war, und Hauptmann Lell von der Artillerie im Nebendorf durch Herzschuss. Major Baur wurde auf seinem etwas zurückliegenden Regimentsgefechtsstand von durchgebrochenen Russen mit einem Bauchschuss schwer verwundetet und musste von uns zurück transportiert werden.
Oberarzt Dr. Sell

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