Februar 1943: Kabinettstück vor der Büffelbewegung

Die Ressa-Ugra-Stellung westlich von Juchnow, in der unsere 260. Infanteriedivision im Verband der 4. Armee beim XIII. Armeekorps fast ein Jahr lang (März 1942 bis März 1943) lag, musste aufgegeben werden.

Der vorgeschobene Frontkeil, der eine Tiefe von etwa 200 Kilometern hatte, musste zurückgenommen werden; beide Flügel der Armee waren bedroht, eingedrückt zu werden.
Das Oberkommando des Heeres hatte befohlen, die Front in den großen Jelnja-Bogen zurück zu nehmen. Schon von Anfang Februar 1943 galten die Tage und Nächte der Vorbereitung für die bevorstehende Absetzbewegung, die als „Büffelbewegung“ bezeichnet wurde.

am Scherenfernrohr

am Scherenfernrohr

Unser Abschnitt der 3. Kompanie, Grenadierregiment 470 war rechter Flügel der Division. Die Stellungs-Besetzung war, von rechts nach links III., I. und II. Zug. Mitten durch unseren Abschnitt führte ein Hohlweg in einer Breite von ungefähr 100 Metern, rechts angrenzend an ein Waldstück. Dieser Hohlweg musst besonders stark besetzt werden, versuchte doch der Gegner an dieser Stelle immer wieder, meist bei Nacht, durch zu stoßen. Aber Späh- und Stoßtrupps wurden von unserer Kompanie immer wieder abgeschlagen. Sogar ein Angriff der Russen in Kompaniestärke brach im Abwehrfeuer vor unseren Linien zusammen.

Dieses dauernde Vorfühlen der Russen war darauf zurückzuführen, dass wir oft Befehle hatten, ganze Nächte hindurch keinen Schuss abzugeben; denn der Gegner sollte ja getäuscht werden, um den genauen Tag der Absetzbewegung, das befehlsgemäße Lösen der Einheiten vom Gegner, zu verschleiern. Tagsüber musste jegliche Bewegung, welche der Feind beobachten konnte unterbleiben. In den Bunkern durfte wegen des aufsteigenden Rauches kein Feuer angezündet werden.

In anderen Nächten wurde wieder im Wechsel mit Maschinengewehr und Granatwerfern in die feindlichen Stellungen geballert, dass es nur so rummste. Holzstöße wurden zusammen getragen, auf den ganzen Abschnitt verteilt, um mit ihrem Abbrennen das von Bunker vorzutäuschen. Teilweise fiel der Gegner darauf herein und schoss wie wahnsinnig auf die Brandstellen, oftmals gab er auch keinen einzigen Schuss ab, auch Detonationen von Bunkern wurden nachgeahmt, und durch weit hörbaren Lärm von Blechgegenständen führten wir die Russen in die Irre. Wir bauten in den Nächte künstlich erstellte Kampfstände auf, die vom Gegner gut einzusehen waren. Diese blieben einige Tage stehen. Tagsüber musste ab und zu ein MG-Schütze einige Feuerstöße von einem solchen Scheinkampfstand auf die russischen Stellungen abgeben. In den darauf folgenden Nächten wurden dann diese MG-Stände mit laut hörbaren Krachen wieder gesprengt.

Am 22. Februar 1943 machten wir einen Stoßtrupp in Stärke von 26 Mann; Führer war Leutnant Mauch, der ein paar Tage später durch einen Kopfschuss in dieser Stellung leider noch fiel. Bei diesem Unternehmen, das nachts ausgeführt wurde, heizten wir dem Russen gewaltig ein und brachten zwei Gefangene mit. Auf Grund der Aussagen dieser beiden hatten wir den Eindruck, unserem Gegner sei das sonderbare Verhalten in unserem Abschnitt noch nicht klar geworden.

Dann hielten wir wieder drei volle Tage und Nächte Waffenruhe. Prompt fiel diesmal der Russe auf diese Falle herein. Am nächsten Sonntagmorgen, es war der 1. März, kam er in Stärke von 150 Mann in Skiern in leicht aufgelockerter Marschordnung am linken Flügel der Kompanie an. Dort lag der II. Zug (Feldwebel Lebherz). Aufrecht wie bei einer friedensmäßigen Marschübung, in gemäßigten Schritt Tempo, kamen sie auf unseren Graben zu. Als Kleidung trugen sie Schneehemden. Vier von diesen weißen Gestalten zogen sonderbare Gegenstände hinter sich her. Beim näher kommen konnte man mit dem Glas feststellen, das es Maschinengewehre waren, die sie auf selbstgebauten Schlitten montiert hatten. Feldwebel Lebherz befahl: „Erst wenn der Gegner auf vierzig Meter herangekommen ist, dann Feuer frei! Ich gebe das Zeichen durch einen Feuerstoß aus meiner Maschinenpistole.“

Noch hundert, noch achtzig, noch sechzig Meter trennen die feindlichen Soldaten von unserer HKL. Unsere Spannung war auf dem Siedepunkt, aber keinem im Graben versagten die Nerven. Alles blieb ruhig. Ein Gefreiter neben mir sagte: „Ich glaube der Iwan spinnt.“ Ich antwortete ihm: „Nicht mehr lange!“ In der Zwischenzeit war vom Zug des Oberfeldwebels Gröter noch eine Gruppe mit Maschinengewehr herbeigerufen worden. Im Zugabschnitt war jetzt ein schweres MG, vier leichte MG, und ungefähr dreißig Gewehrschützen postiert und warteten auf den Feuerbefehl des Zugführers.

gefallene russische Soldaten

gefallene russische Soldaten

Jetzt kommt das Zeichen „Feuer frei“ und schlagartig bricht der Feuerzauber los. Aus sämtlich MG- und Gewehrläufen der Abwehrkette jagen die Garben und Geschosse in die Reihen der ankommenden Russen hinein. Auch zwei schwere Granatwerfer der 4. Kompanie des Infanterieregiments 470 beteiligen sich mit zehn Schuss an dem Feuerüberfall.

Bei den Russen geht es drunter und drüber. Gewehre fliegen durch die Luft, Körper sinken zusammen und bleiben regungslos im Schnee liegen. Ihre Maschinengewehre kommen überhaupt nicht zum Schuss, so überrascht sie der konzentrierte Feuerüberfall. Einzelne Angreifer versuchen den Rückzug, aber auch sie fallen. Nicht einer der Russen bleibt am Leben!

Keine zehn Minuten sind vergangen und der Traum vom Sonntagsspaziergang des Russen ist ausgeträumt! Die größte Wirkung hatte das schwere MG der 4. Kompanie des Infanterieregiments 470.

Aus den 200 Meter entfernten russischen Stellungen kommen einige „Ratsch–Bum-Geschosse“ als Vergeltungsgruß zu uns herüber. Aber es ist schon zu spät das Schicksal der russischen Kompanie ist schon besiegelt. Dann ist wieder Ruhe über den Fronten.

In der darauf folgenden Nacht schlichen wir hinaus zu den toten Russen und durchsuchten ihre Tragsäcke. Wir fanden bei jedem außer eine Menge Munition ein gebratenes Hähnchen und eine kleine Flasche Wodka.

Am 3. März 1943 übernahm dann wieder Hauptmann Dr. Raff. Er war auf einem Lehrgang im rückwärtigen Divisionsabschnitt gewesen. Wir alle waren froh darüber; denn sein Stellvertreter kam als Offizier-Ersatz aus Frankreich und hatte keinerlei Fronterfahrung. Wir hatten etwas skeptisch den nächsten Wochen entgegengesehen. Jetzt aber, da wieder unser bewährter Chef die Kompanie führte, war jede Sorge von uns gewichen. Alles war wieder klar.
Kurt Breuning

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