Juni 1940: Château-Porcien – Heerespionierbataillon 653 im Kampf um die Aisne

Château-Porcien…ein Städtchen vor dem die Aisne sich teilt und es mit zwei ranken Wasserarmen von über 30 Metern Breite in ihre Obhut nimmt.

Die Aisne-Brücke in Château-Porcien in Juni 1940

Die Aisne-Brücke in Château-Porcien in Juni 1940

Zu allem Überfluss hat die Natur noch einen weiteren Quer-Ast in das Delta eingefügt, der sich an das Weichbild der Ortschaft anschmiegt und Menschenhand hat einer hier etwa kämpfenden einheimischen Truppe in einem breiten, tiefen Kanal einen festen Rückhalt gegeben, der einen nachstoßenden Feind wohl aufhalten könnte.

Ist man in Friedenszeiten mit dem Fahrrad oder dem Wagen von Écly oder Son her kommend nach Avancon gefahren, dann passierte man innerhalb des Städtchens drei handfeste Betonbrücken: die erste am Eingang von Château-Porcien über den nördlichen Arm der Aisne, die zweite am südlichen Ausgang über den hier noch breiteren Ausläufer der Flussteilung und wenige Wagenlängen weiter die Kanalbrücke.

Der schnelle Krieg der deutschen Truppen hat im Juni 1940 das nördliche Frankreich wie ein unaufhaltsames Hochwasser überflutet und ist auch an die Ufer der Aisne gedrungen. Seit ein paar Tagen liegt die 17. Infanteriedivision im wahrsten Sinne des Wortes vor den Mauern von Château-Porcien und bereitet den großen Schlag vor, der die letzte Phase des Feldzuges im Westen einleiten wird.

Die Aisne bei Château-Porcien 2019

Die Aisne bei Château-Porcien 2019

Weiß der Teufel, warum der „Franzmann“ die Brücke über den nördlichen Flussarm nicht zerstört hat. Vielleicht glaubte er, den deutschen Vormarsch durch die Sprengung der beiden Anderen Übergänge allein schon aufhalten zu können – vielleicht war es auch ein Fehler oder ein Versehen? An einer Tatsache könnte allerdings auch die Vernichtung dieser letzten noch unversehrten Aisne-Brücke nichts ändern: Château-Porcien wird genommen, so oder so!

Der 260. Infanteriedivision sind zwei Pionierbataillone unterstellt: neben dem mit Masse im linken Abschnitt bei Écly angesetzten Pionierbataillon 17 auch das Heerespionierbataillon 653, das im Angriffsstreifen des Infanterieregimentes 55 über Aisne und Kanal bei Château-Porcien Panzerbrücken schlagen wird.

Die Erkundungen müssen im Interesse der Geheimhaltung des bevorstehenden Angriffs sehr vorsichtig durchgeführt werden und bringen deshalb auch nur sehr spärliche Aufklärungsergebnisse. Kennzeichnend für die Schwierigkeit dieser Spähtruppunternehmen ist die Tatsache, dass die Wassertiefe des Kanals durch Tauscher geschätzt werden muss. Ein Vorgehen bei Tag wird allgemein als unmöglich geschildert. Das Ufergelände an der Aisne ist flach und bietet kaum Deckung. Wohl ist der Flusslauf von Baumgruppen und Pappelreihen umsäumt, doch ermöglichen die Lücken dem Feind jederzeit die Einsicht in das Ganze Vorgelände seiner Verteidigungsstellung und die französischen Baumschützen in den Pappeln könnten ein sportgerechtes Scheibenschießen auf die deutschen Stahlhelme abhalten.

Immer in schwierigen Lagen ruft die Truppe nach dem Pionier, der ihr Wegbereiter in schwer bezwingbarem Gelände ist. Die Infanterie wünscht um Château-Porcien herum nicht weniger als 12 Übergangsstellen, an denen die Schützen auf Floßsäcken übergesetzt und mit ihren Waffen an das jenseitige Ufer geworfen werden sollen. Die Armee befiehlt für den Angriff den Bau von zwei schweren Kriegsbrücken für den möglichst schnellen Übergang der deutschen Panzerverbände. Den Pionieren werden also die Tage bis zum Angriff nicht lang. In hellen Juninächten werden die unumgänglichen Erkundungen angesetzt, Übersetz- und Baustellen gesucht und gefunden, getarnte Bereitstellungsplätze festgestellt. Mit dem Übersetzen wird es nicht gerade leicht werden. Die Ufer der Aisne sind fast so steil und hoch wie die des Kanals. Das vorsichtige Einbooten wird die übersetzenden Truppen länger als es gut sein kann der Wirkung der Feindwaffen aussetzen. Das Kriegsbrückengerät wird nicht ausreichen, weitere Pontonwagen müssen angefordert werden.

Feuerstellung der 12. Batterie / Artillerieregiment 260 bei Château-Porcien

Feuerstellung der 12. Batterie / Artillerieregiment 260 bei Château-Porcien

Bis zum 05. Juni 1940 verläuft die französische Stellung quer durch die Ortschaft. Der Nordarm ist dank der unversehrten Brücke im Besitz der deutschen Infanterie die sich an seinem Südufer eingenistet hat. Der Kommandeur des Heerespionierbataillons 653 muss in diesen Tagen und Stunden verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, hängt von seinen Männern doch das Gelingen oder Versagen, Sein oder Nichtsein des Angriffs der 260. Infanteriedivision mit ab.

Im Nordarm sollen bereits in der Angriffsnacht die Fähren für die 16-Tonnen-Panzerbrücke, die neben der gesprengten Brücke über den Südarm entstehen soll, gebaut und beim Angriff dann auf dem Wasserwege eingefahren werden. Diese Brückenstelle musste man nach einem Luftbild wählen.

In der Nacht zum 06. Juni 1940 schaffen Pioniere durch Wegräumen von Schutt und Geröll in den zusammengeschossenen Straßen am Nordarm freie Plätze für den Fährenbau. Die französischen Truppen haben da schon die Ortschaft geräumt und sich über den Südarm der Aisne zurückgezogen.

Die Pioniere bereiteten 12 Schnellstege aus Fässern und außerdem den Bau einer Behelfsbrücke für 16 Tonnen vor. Die Brückenteile werden so zugeschnitten, dass sie ohne einen Hammerschlag durch Verschrauben später geräuschlos zusammengefügt werden können. Auf dieser Behelfsbrücke sollen beim Angriff die für den Kanal bestimmten Brückenwagen des Kriegsbrückengerätes über den Ostarm der Aisne rollen.

Im großen Rechteck zwischen Nord- Süd und Ostarm liegen in einem Waldstück die Infanteristen hundert Meter nördlich des Mühlgrabens. Die Franzosen haben sich mit 4 Maschinengewehren in der jenseitigen Mühle verschanzt und verhindern jeden Annäherungsversuch an den Mühlsteg beim Wehr mit den gemauerten Ufern. Infolge ungünstiger Flutverhältnisse muss die Fährenbaustelle an den Ostarm, 200 Meter vom Feind entfernt in die Nähe der Stelle für die Behelfsbrücke verlegt werden.

Das ist in großen Zügen die Lage, als in den Abendstunden des 08. Juni 1940 der Chef des Stabes der Division die Angriffszeit überbringt. In der Frühe des 09. Juni 1940 um 04:45 Uhr wird die Armee zum neuen tödlichen Schlag ansetzen.

Geräuschlos, damit der Gegner nichts von dem bevorstehenden Angriff erfährt, werden nach Einbruch der Dunkelheit die letzten Angriffsvorbereitungen getroffen. Jeder Laut kann den bevorstehenden Angriff verraten. Per Pferdezug werden die Pontonwagen zur Höhe 136 vorgebracht. Dort werden die Tiere ausgespannt, Pioniere treten an ihre Stelle. Nur durch ihren Einsatz ist die Geheimhaltung, die jeden deutschen Angriff so überraschend und alles überrennend werden lässt, zu ermöglichen.

Château-Porcien 2019

Château-Porcien 2019

Die Männer schleppen also lautlos die schweren Brückenteile zu den einzelnen Stellen. Mit abgestellten Motoren rollen die LKW mit dem Behelfsgerät von der Höhe durch den Hohlweg herunter bis in die Ortschaft bis in die Gegend um die Kirche. Von dort aus übernehmen wiederum Pioniere den Weitertransport zur Brückenstelle am Ostarm. Alles Gerät soll ganz nah an den Einsatzstellen bereit liegen, weil der Kommandeur nach der Beurteilung des Geländes und dem Einschießen der Franzosen Sperrfeuer erwartet, dass ein Vorziehen von Truppe und Gerät von weiter rückwärts selbst unter großen Verlusten kaum gestatten wird. Da beginnt die französische Artillerie ihr „Koffer“ herüberzuschicken. Aber noch ahnt man drüben nichts. St. Barbaras Tätigkeit gehört nur zu dem allabendlich wiederkehrenden Streufeuer, mit dem der Feind die deutschen Truppen weniger stört als vielmehr in der Hauptsache wohl sich selbst beruhigen will. Nur wenige Granaten krachen zwischen die Häuser. Die Bordwände zweier in der Ortschaft abgestellter Pontons werden von Granatsplittern durchlöchert, doch dies kann das Vorhaben nicht aufhalten. Die Fahrzeuge gelangen planmäßig zu den Baustellen. Pünktlich um 23:00 Uhr wird mit dem Bau der Behelfsbrücke über den Ostarm und hart daneben mit dem Fähren für die Kriegsbrücke über den Südarm der Aisne begonnen.

Château-Porcien am 11. Juni 1940

Château-Porcien am 11. Juni 1940

Die Pontons werden Zoll um Zoll leise zu Wasser gebracht und verzurrt. Lautlos werden die Träger vorgebracht und verschraubt, der Belag eingedeckt. Die erste fertige Fähre liegt am Ufer fest, die Behelfsbrücke wächst zu gleicher Zeit Meter um Meter über dem Ostarm.

Aus der Ferne surrt Motorengeräusch auf, kommt näher und näher. Die Gegend wird plötzlich in die taghelle Glut einer Leuchtrakete getaucht, die ein Feinflieger abgeworfen hat. Minutenlang pendelt sie an ihrem Fallschirm über den Baustellen. Jede Bewegung erstarrt. Unter der drückenden Zentnerlast der Pontons stehen die Pioniere wie sie es auf dem Wasserübungsplatz in Friedenszeiten gelernt haben. Fliegerbomben pfeifen durch die Nachtluft. Unweit der Brückenstellen fallen sie zwischen die Häuser. Kein Flakgeschütz lässt sein wohlbekanntes, vertrautes Bellen hören. Die Vorsicht, dem Gegner keinen Anhaltspunkt für die bevorstehenden Angriffsabsichten zu geben und die eigenen Stellungen nicht zu verraten, hat auch der Flugabwehr Feuerverbot auferlegt. In Windeseile werden auf Befehl des Bataillonskommandeurs die hellen, in der Nacht weithin sichtbaren Belagbohlen mit Ästen und Zweigen zugeworfen und getarnt.

Das Flugzeug verschwindet in weitem Kreise, kommt wieder und immer wieder. Doch trotz der dadurch entstehenden Verzögerungen steht die Behelfsbrücke um 03:00 Uhr. Das Gerät für die Überbrückung des Mühlgrabens wird vorgebracht. Über Behelfsbrücke und Mühlsteg sollen die Wagen für die Kanalbrücke zu ihrer Einsatzstelle gelangen.

Unermüdlich schleppen die Pioniere auch Uferbalken und Bordgerät für die Aisnebrücke in die Nähe der vorgesehenen Brückenstelle. Zu gleicher Zeit rückt die 2. Kompanie mit ihren Übersetzmitteln, Floßsäcken und Stegen in die Ausgangsstellung im Angriffsstreifen des Infanterieregimentes 21, um die ersten Infanteriewellen über die Aisne zu bringen.

Der Aisne-Kanal bei Château-Porcien 2019

Der Aisne-Kanal bei Château-Porcien 2019

Um 04:45 Uhr setzt die eigene Artillerievorbereitung ein. Die Bereitschaften der Pioniere liegen schon so weit vorne am Feind, dass sie durch Treffer der eigenen Artillerie gefährdet werden. Da greift die französische Artillerie ein. Das Duell bricht in nie geahnter Wucht los, Château-Porcien duckt sich unter den sich kreuzenden Kanonaden, die nun auch den Ort selbst stärker in Mitleidenschaft ziehen. Die Hauptwucht des Feuers liegt jedoch auf der Zufahrtstrasse von Écly und dem Hohlweg. Dichter Qualm und Pulverdampf hüllen das Land in ihre Schwaden. Man kann Häuser und Bäume nur noch auf wenige Meter Entfernung erkennen und muss bemüht sein, die Kameraden nicht aus dem Auge zu verlieren.

Unentwegt rollen die Zugmaschinen nun mit Motorenkraft – im Lärm der schweren Waffen ist keine Vorsicht mehr nötig – den Hohlweg herunter, bis zwei der Raupenschlepper im feindlichen Feuer liegen bleiben und die Weiterfahrt aufhalten. Das französische Artilleriefeuer riegelt jede Bewegung nach Château-Porcien ab. Als das eigene Artilleriefeuer in Richtung der französischen Stellungen vorverlegt wird, stürzen die Floßsackbesatzungen zum Ufer um die Infanterie überzusetzen. Im Angriffsstreifen der 2. Kompanie gelingt es trotz feindlichem Abwehrfeuer unter Verlust von nur 2 Floßsäcken das andere Ufer zu erreichen.

An 4 Übersetzstellen wird zunächst jeweils ein Stoßtrupp an Land gebracht. Dann folgen an allen Übersetzstellen insgesamt 16 kleine Floßsäcke mit je einem Pionier und zwei Infanteristen besetzt. Die kleinen Floßsäcke werden am anderen Ufer von der Besatzung gleich zum Kanal mit weitergeschleppt. Dichter Nebel erschwert sehr bald das weitere Übersetzen. Unter mühevollem Einsatz eines jeden Pioniers geht es aber reibungslos weiter.

am Aisne-Übergang bei Château-Porcien

am Aisne-Übergang bei Château-Porcien

Anders in Château-Porcien, hier stockt der Angriff. Zwischen Kanal und Südarm der Aisne hämmern die französischen Maschinengewehre aus nicht erkennbaren Stellungen in die Flanken der vorgehenden deutschen Kräfte. Hier und dort bleibt einer liegen um nie wieder aufzustehen. Ein Pionierleutnant der 1. Kompanie stürmt an die gesprengte Betonbrücke, will sie vielleicht im Handstreich nehmen – er bezahlt diesen Drang nach vorne mit dem Leben.

Die ersten Angriffswellen sind abgeschlagen, in den Feuerstößen eines sich mit letzter Verzweiflung wehrenden Gegners zusammengebrochen. An der Aisnebrücke ist ein Vorwärtskommen unmöglich. Die Infanterie setzt Teile einer Reservekompanie ein. Die Franzosen wissen, dass die Stellung an der Aisne ihre letzte sein wird und wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung. Ihre Stellungen sind allerdings auch sehr geschickt gewählt und vom diesseitigen Ufer kaum zu erkennen. Noch einmal soll die deutsche Artillerie den Angriff unterstützen, das Gelände jenseits des Flusses sturmreif „trommeln“. Die Infanterie wird deshalb zurückgenommen. Aber die Artillerieunterstützung blieb aus, weil das links angeschlossene Infanterieregiment 21, dass von den Pionieren der 2. Kompanie des Pionierbataillons 653 südlich Écly über die Aisne gebracht worden war, bereits das Südufer erreicht hat und durch einen Vorstoß aus dem Südwesten entlasten soll.

Château-Porcien am 11. Juni 1940

Château-Porcien am 11. Juni 1940

Inzwischen ist der neue Tag längst angebrochen. In kleinen Trupps hat sich die zweite Kompanie durch das gegnerische Sperrfeuer wie befohlen zum Bataillonsgefechtsstand herangearbeitet und steht zum Einsatz an der Panzerbrücke zur Verfügung. Die Nebelschleier haben sich verflüchtigt. Die bereits zurückgezogene Infanterie rückt wieder in die vorherigen Stellungen ein. Es ist 09:00 Uhr und von einer Entlastung durch den links angeschlossenen Verband ist nichts zu spüren. Die Fernsprechverbindungen sind zerschossen und unterbrochen.

Gegen 09:30 Uhr entschließt sich der Bataillonskommandeur – Major Reinicke – den Flussübergang mit Pionierstoßtrupps zu erzwingen. An Freiwilligen fehlt es nicht. Drei Stoßtrupps werden zusammengestellt. Ein Flak-Offizier (Leutnant Pertsch) sagt die Unterstützung des Unternehmens durch 2 Flakgeschütze für den Erdbeschuss zu. Da keine Zugmittel vorhanden sind, packen die Pioniere wieder mit an und ziehen die Kanonen in ihre Stellungen. Das erste Geschütz geht in offene Feuerstellung an der Aisne. Es soll mit zwei Pionierstoßtrupps an den Mühlgraben vorrücken und durch direkten Beschuss in den Kampf eingreifen. Das zweite Geschütz geht auf einer Anhöhe nördlich von Château-Porcien in Stellung, von wo aus es die Maschinengewehrnester des Gegners niederhalten kann.

Fast zeitgleich erscheint der Führer eines Panzerspähwagens, Leutnant Freiherr von Miltitz. Auch er erklärt sich zum Einsatz zweier seiner Fahrzeuge bereit, in deren Feuerschutz die Pionierstoßtrupps mit Floßsäcken den Mühlgraben überqueren und die Mühle von Osten her angreifen sollen. Ein dritter Stoßtrupp soll am Mühlgrabenwehr zum Frontalangriff auf die Mühle in Bereitstellung gehen.

Der Steg über die Aisne

Der Steg über die Aisne

Kurz nach 10:00 Uhr rollen die Panzerspähwagen über die Behelfsbrücke, die jetzt zu besonderer Bedeutung gelangt, auf die Wiese. Zwischen ihnen das eine Flakgeschütz und in ihrer Deckung die Pionierstoßtrupps. Major Reinicke beobachtet zusammen mit dem Kommandeur des Infanterieregimentes 55, Oberst Specht, die Entwicklung des Unternehmens. Von links her, wo das breite Bett der Aisne sich in zwei Arme teilt, setzt mörderisches flankierendes Feuer ein. Der rechte Panzerspähwagen feuert in die falsche Richtung. Von der Waldecke aus beobachtet Major Reinicke den Kampf. Er verlässt den Oberst und gibt dem Adjutanten den Auftrag, den einen Panzerspähwagen auf die feindlichen Baumschützen und ein erkanntes Maschinengewehrnest in der linken Flanke aufmerksam zu machen. Die Feuerstöße rattern in rasender Folge über die Wiese. Der Adjutant springt nach links hinüber, schwingt sich auf den Panzerspähwagen und leitet von dort aus das Feuer selbst. Den Angriff der Stoßtrupps nimmt der Kommandeur selbst in die Hand, wie er auch während der ganzen Vorbereitungen und während des Baus der Behelfsbrücke und der Fähren nicht von der Seite seiner Männer gewichen ist. Im Feuerschutz gewinnen die Sturmpioniere das Ufer der Aisne, die Floßsäcke flitzen ins Wasser und ihre Besatzungen springen auf den Streifen zwischen Fluss und Kanal an Land. Wieder auf festem Boden, teilen sich die Trupps. Der eine stößt nach links, der andere nach rechts in Richtung Mühle vor. Der Major selbst leitet das schwierige Unternehmen gegen die sich heftig und zäh wehrenden Verteidiger der Mühle, deren Stellungen auch von der Flak erkannt und bekämpft werden.

Angehöriger französischer Kolonialtruppen gehen in Kriegsgefangenschaft!

Angehöriger französischer Kolonialtruppen gehen in Kriegsgefangenschaft!

Eine knappe Viertelstunde ist seit Beginn des Unternehmens verstrichen. Der am Mühlgrabenwehr in Bereitschaft liegende dritte Stoßtrupp unter der Führung von Feldwebel Amling erkennt die günstige Gelegenheit und nimmt den halb zerstörten Steg. Auf den wenigen ganz gebliebenen Trägern balancieren die Pioniere über den Mühlgraben. Aus den Gebäuden kommen die ersten Franzosen mit hoch erhobenen Händen. „Prisonniers, Prisonniers!“ wimmern sie und „Pardon, Pardon!“

Die Fahrzeuge werden nachgezogen, der Steg in Stand gesetzt. Mit dem Brückenschlag über die Aisne konnte bis zu diesem Zeitpunkt infolge heftiger Gegenwehr des Feindes aus wiederum gut getarnten Stellungen nicht begonnen werden. Noch immer liegen die Fähren an ihren Ablaufstellen, ohne die Annäherung an die Brückenstelle versuchen zu können. Die Pontons sind zu kostbar, um dem gegnerischen Beschuss ausgesetzt zu werden. Doch davon hat der Bataillonskommandeur keine Kenntnis. Er ist von der Mühle aus mit deinem Adjutanten zur beabsichtigten Brückenstelle am Kanal vorausgeeilt, an die bereits Fahrzeuge nachgezogen werden. Von hier aus geht er auf Château-Porcien zu, um auch beim Brückenschlag über die Aisne nach dem Rechten zu sehen. Da peitschen dem kleinen Trupp Schüsse von Südufer des Flusses entgegen. In einem gut ausgebauten Nest mit Unterständen und tiefen Gräben am südlichen Widerlager der gesprengten Brücke hat sich der Gegner noch gehalten. Er schießt ein mörderisches Feuer, dem auch Pioniere zum Opfer fallen.

Château-Porcien ist genommen!

Château-Porcien ist genommen!

Die Pioniere setzen nun von allen Seiten zum Sturm auf das letzte Widerstandsnest an. Unter Führung des Kommandeurs vom Kanal her und des Hauptmann Reicherd, der seine Leute über die zerstörte Aisnebrücke führt, wird der Brückenkopf im Handgranatenkampf gestürmt. Der todesmutige Gegner gibt den Kampf erst auf, als einige Pioniere in seinen letzten Gräben eingedrungen sind.

Endlich kann der Brückenschlag gleichzeitig an Fluss und Kanal beginnen. Um 11:30 Uhr gehen die Pioniere ans Werk – um 14:00 Uhr ist die Kanalbrücke, um 15:00 Uhr die Aisnebrücke fertig. Die erste Probebelastung durch schwere Panzer verursacht zwar bei den Uferverhältnissen noch einen Erdrutsch, doch ist diese Gefahr bald behoben und um 16:20 Uhr kann der Kommandeur des Heerespionierbataillons 653 die Kriegsbrücken für den Übergang der Panzerverbände freigeben. Und trotz aller Verspätungen ist der Übergang bei Château-Porcien noch für viele Stunden im Armeeabschnitt der einzige geblieben.

Wie viele andere Berichte aus dem Feldzug im Westen zeigt auch dieser Einsatz des Pionierbataillons 653 geradezu beispielhaft wie vielseitig die Aufgaben der Pioniere im modernen Blitzkrieg sind, wie sie wahrhaft in einem Atemzug Behelfsbrückenbauen, feindliche Stellungen stürmen und schwere Kriegsbrücken einfahren, wie die Pionierwaffe Kern des Angriffs und Wegbereiter der Armee auf den Straßen des Sieges ist. Das hat Château-Porcien in überzeugender Eindringlichkeit bewiesen.

Obergefreiter Fritz E. Maier-Florian

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