September 1943: Zurückrobben wie bei Karl May – Absetzbewegung der 260. Infanteriedivision an der Desna

Als Anfang September 1943 der Druck, der an Mensch und Material stark überlegenen Russen ein weiteres Halten der Büffelstellung auf der Linie Kljin – Saasjeo – Nikolskoje – Ossinowka  unmöglich machte , setzte sich die 260. Infanteriedivision parallel zur Nachbardivision in der Zeit vom 9. bis 11.09.1943 über die Desna ab, an deren Westufer ein Grabensystem vorbereitet war.

An der Desna

An der Desna

Bei den vorausgegangen, schweren Abwehrkämpfen mussten wir wieder erhebliche Verluste hinnehmen, so dass unsere Division nur noch Grenadierregimenter 460 und 480 mit je zwei Bataillonen zu je vier geschwächten Kompanien sowie Stabs-, Panzerjäger- und Infanteriegeschütz-Kompanie zur Verfügung hatten.

Das Grenadierregiment 470 war aufgelöst. Hinzu kamen das Divisions-Bataillon mit zwei Radfahr- und einer motorisierten Schwadron, die Panzerjägerabteilung und das Feldersatzbataillon 260. Das Artillerieregiment verfügte noch über drei Abteilungen „leichte Feldhaubitze“ mit je einer Stabsbatterie und drei Batterien zu vier Geschützen; ferner die schwere Abteilung  sowie eine zusätzliche Batterie von 15,2cm Haubitzen.

Also eine scheinbar starke Artillerie, die aber ihrem Verteidigungsauftrag nur in unzureichendem Maße gerecht werden konnte, weil es an Munition fehlte und jeder Schuss der Genehmigung bedurfte.

Die Absetzbewegung wurde in der Nacht zum 10. September 1943 eingeleitet. Das I. Bataillon unter Major Strohm mit der unterstellten 7. Kompanie des Grenadierregiments 480, die ich damals führte, war vom 10. auf den 11.09.1943 als Nachhut eingeteilt und sicherte das Übersetzten sowie das Einrichten der Division in der neuen Stellung. Wir setzten uns, hinhaltend kämpfend, durch ein Wald- und Buschgelände nach Westen ab, bis wir auf etwa 2 Kilometer an die Desna herangekommen waren.

Da der Russe hart nachdrängte, entschloss sich Major Strohm zu einem begrenzten Gegenstoß, um den Feind auf Distanz zu halten. Er ging dabei mit seiner legendären Ruhe und einer Übersicht vor, die diesen Kommandeur in besonderer Weise auszeichnete.

Bei Einbruch der Dämmerung zog sich Major Strohm mit seinem Bataillon an das Desna-Ufer zurück und übernahm dort einen nach Osten gerichteten Brückenkopf, um meiner, im Wald zurück gelassener, 7. Kompanie nach Erfüllung ihres Auftrages das Übersetzen zu ermöglichen. Ich hatte den Befehl mit meinen ca. 60 Männern die Russen am weiteren Vordringen entlang eines breiten Waldweges, der unsere Rückzugstraße war, zu hindern. Unterstellt war mir eine Gruppe Pioniere und als vorgeschobener Beobachter fungierte Leutnant Beltle.

Meine Stellung verlief entlang einer Waldschneise. Es galt nun, die erreichte Linie bis zum folgenden Tag um 12:00 Uhr zu halten, um uns dann unter einem Feuerschlag der Artillerie abzusetzen. In der Nacht war der Russe in nicht bekannter Stärke bis auf Handgranaten-Wurfweite an uns herangekommen, es galt erhöhte Alarmbereitschaft; an Schlafen war nicht zu denken.

Infanteriegeschütz im Einsatz

Infanteriegeschütz im Einsatz

In dieser Situation setzte ich in enger Verbindung mit dem Gros der Kompanie nach Norden und nach Süden Spähtrupps an; einmal um festzustellen, ob der Russe Anstalten mache, uns in den offenen Flanken zu umgehen, und zum anderen, um auf der neuen künstlichen verlängerten Front durch Abgabe von einzelnen Schüssen und kurzen Feuerstössen aus der MP dem Feind eine starke Besetzung vorzutäuschen. Darüber brach der Tag an und ich konzentrierte meine geringe Kampfkraft nun wieder am Abend vorher eingenommene Stellung. Mit der höher steigen Sonne erwartete ich den Angriff der Russen; aber außer einzelnen Schüssen und Feuerstöße leichter MGs tat sich nichts. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Der Russe hatte uns nördlich im weiten Bogen bereits umgangen und stieß in den nächsten Tagen gegen die Desna vor.

Es ging inzwischen auf 12:00 Uhr zu und wir waren in gespannter Erwartung des Feuerschlages unserer Artillerie in dessen Schutz wir uns vom Gegner lösen wollten. Auf das Feuerkommando von Leutnant Beltle zogen aber nur drei einzelne Granaten über uns hinweg. Beltle war außer sich, aber auch er war ziemlich machtlos. Er konnte an den Munitionsmangel unserer bisher immer zuverlässigen Kameraden von der Artillerie nichts ändern.

Der Russe wurde nun unruhig und begann zu schießen. Jetzt wurde es für uns kritisch, denn offenes Absetzten hätte wahrscheinlich den sofortigen Angriff der Russen ausgelöst. Ich befahl nun meinen Zugführern, sie sollten über Gruppenführer durchsagen lassen: „Jeder hat schon einmal seinen Karl May gelesen. Robbt also auf Zeichen so geräuschlos wie möglich zurück bis zu einem Wegeknie, zirka 200m rückwärts, wo wir der Beobachtung der Russen entzogen sind!“ Tatsächlich erreichten wir unbehelligt den Sammelplatz, wobei auch unser einziger Verwundeter bei diesem Unternehmen, ein MG-Schütze, gebracht wurde.

Von dort machten wir uns dann unter Einhaltung entsprechender Sicherungsmaßnahmen auf den Weg zu Major Strohm. Als wir ca. 500 Meter von unserer Schneisenstellung entfernt waren, traten die Pioniere in Aktion und bereiteten Baumsprengungen vor, die den Russen am raschen Nachstoßen hindern sollten. Als wir uns den Brückenkopf näherten, hörten wir bereits Gewehr- und MG-Feuer aus nördlicher Richtung, in das auch bereits Teile des Bataillons Strohm verwickelt waren.

Wir erreichten unsere Kameraden vom I. Bataillons des Grenadierregiments 480 ohne weitere Ausfälle. Nachdem wir über die Desna geschleust waren, durften wir auf Befehl von Oberst Friker einen ganzen Tag ausruhen, bis es wieder in Stellung ging.
Kurt Kraft

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