Nach unserem Vorstoß über die Flüsse Bolwa und Ugra war das nächste größere Ziel das an der Oka liegende Kaluga.
In der Nacht zum 08. Oktober 1941 ist Schnee gefallen. Unsere 3. Kompanie / Infanterieregiment 470, damals noch Radfahrkompanie, hat den Befehl innerhalb einer Kampfgruppe aus Teilen unserer 260. Infanteriedivision und der 17. Infanteriedivision mit Sturmgeschützen und Heeresartillerie Kaluga im Handstreich zu nehmen.
In der Frühe des 08. Oktober startete das Unternehmen, gegen 15:00 Uhr erreichten wir das Tal von Kaluga. An seinem Ausgang wurden die Vororte der 90.000 Einwohner zählenden Stadt sichtbar. Scheinbar hatten die Sowjets schon auf uns gewartet, denn in dem kleinen Dorf, wo wir zum Angriff anraten, empfing uns ein Hagel gut gezielter Granaten aus sämtlichen, jenseits der Oka aufgefahrenen Batterien, darunter auch Stalinorgeln und schwere Geschosse mehrerer Haubitzen.
Also war mit einer schnellen Einnahme der Stadt kaum zu rechnen. Wir hatten auch gleich Verluste zu verzeichnen, darunter den Unteroffizier Karl Stöffler aus Möckmühl.
Wir mussten uns also auf harten Widerstand vorbereiten. Trotzdem entwickelte sich unsere Infanterie und drängte die Sowjets über den Fluss zurück. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte unsere 3. / Infanterieregiment 470 einen weiteren Vorort.
Das Dorf zog sich etwa 100 Meter vor dem westlichen Ufer der Oka in nordsüdlicher Richtung dahin, die in einem weiten Bogen ihre Schleife um das in der Ferne liegende Kaluga zog. Rechts abschließend an unsere Kompanie-Grenze führte auf einem Damm die Eisenbahnlinie Moskau – Kaluga – Brjansk vorbei, welche die Oka auf einer starken Brücke überquerte.
Am jenseitigen Ufer hatten sich die Gegner in Massen zur Verteidigung in Erdlöchern und Unterständen eingerichtet. Heute kann ich mich noch entsinnen, wie es dort nur so wimmelte von diesen braunen Gestalten. Immer mehr kamen von rückwärts dazu. Bis fast in ihre vordersten Stellungen bewegten sie sich aufrecht. Wir hatten Befehl, nur bei einem Feindangriff zu schießen. Unsere eigene Lage war nicht rosig. Da der geplante Überfall durch starken Feindwiderstand ins Stocken kam, mussten wir eine Abwehrlinie bilden und warten, bis unser Infanterieregiment 470, das im Eiltempo nachrückte, uns erreicht hatte.
Da die zurückgewichenen Russen sämtliche Flussübergänge gesprengt und wir keine Pioniere bei uns hatten, blieb nur die Möglichkeit über die Eisenbahnbrücke das gegenüberliegende Ufer zu erreichen. Bei Tag schien es fast unmöglich, zumal man in dem etwa 2 Kilometer rückwärts liegenden nächsten Vorort der Stadt mit bloßem Auge die Feindbatterien erkennen konnte.
Die Nacht verlief halbwegs ruhig. Der 10. Oktober war ein trüber Herbsttag, über dem Gelände lag dunstiger Nebel. Eingeleitet wurde dieser Tag durch eine fast heitere Begebenheit: in aller Frühe dampfte, wie im tiefsten Frieden, ein aus Kaluga kommender Munitionszug durch Feind- und Freundstellungen über die Bahnbrücke in Richtung Westen. In der Nähe des von uns eingenommenen Dorfes wurde er durch ein Sturmgeschütz zum Stehen gebracht, die Granate traf den Kessel der Lokomotive, was eine starke Explosion hervorrief.
Kaum hatten sich die ersten Nebelschwaden verzogen, wurde es bei uns und beim Gegner lebendig. Die beiderseitige Artillerie schoss sich ein. Bald lag dichter Pulverqualm über dem Tal der Oka.
Diesen künstlichen Nebelschleier nutzten wir aus um über die Bahnbrücke zu kommen. Dies war mit ein persönlicher Verdienst unseres unvergessenen Chefs, Oberleutnant Dr. Kurt Raff. Gruppenweise schleuste er die Kompanie ohne Verluste über die Brücke.
So erreichten wir die Kusseln am Feindufer, die uns erste Deckung boten. In Erwartung des Angriffsbefehls lagen wir nun fast drei Stunden bewegungslos dort. Hätten die Russen uns bemerkt, es wäre kaum auszudenken gewesen was geschehen wäre.
Der Angriffsbefehl wollte und wollte nicht kommen: erst hieß es um 07:00 Uhr, dann um 08:00 Uhr. Endlich, kurz vor 09:00 Uhr, traf er dann ein. Während des Angriffs zeigte es sich dann, dass die uns wie eine Ewigkeit vorkommende Warterei zum Nutzen war.
Etwa 500 links von uns hatten sich drei Panzer der Sturmgeschütz-Abteilung 192 in weitem Bogen bis in unmittelbare Nähe der Russen heran gearbeitet, um dem Gegner während unseres Frontalangriffs in die linke Flanke zu stoßen.
Um 08:50 Uhr begann der Feuerzauber, eingeleitet durch Salven unserer schweren Waffen, die bis auf 50 Meter an unsere Bereitstellung herangezogen wurden, so das wir bei jeder neu heran zischenden Lage selbst die Köpfe an die Erde pressten.
Aber auch der Russe jagte nun wieder seine Granaten ohne Unterbrechung herüber. Später berichteten unsere Kanoniere, dass sich eigene und feindliche Batterien teils auf Sichtweite in offenem Duell bekämpften.
Mit der grünen Leuchtkugel „Artilleriefeuer vorverlegen“ löste sich die zermürbende Spannung von uns. Bis zu den ersten Feindstellungen waren es kaum 50 Meter. „Sprung auf, Marsch, Marsch“ – in rasendem Tempo entfaltete sich die Kompanie. Schon waren auch die ersten MG- und Schützennester der Russen erreicht. Ein genaues Zielen war uns unmöglich. Um vorwärts zu kommen, musste man den Hüftschuss, selbst mit dem MG, in der Bewegung anwenden. Spaten, Bajonett, Handgranaten und Gewehrkolben nutzten in diesem Augenblick mehr als ein MG in Stellung. Hier war der Nahkampf Trumpf. In den Unterständen befanden sich oft 8 – 10 Russen. Eine Handgranate genügte – und weiter dem nächsten Kampfstand entgegen. Unaufhörlich trommelte unsere Artillerie weiter auf die rückwärts gestaffelten Stellungen des Gegners. Wütend rattern die MG, Handgranaten krachen und zwischen den Stellungen donnern die schwarzen Sprengwolken geballter Ladungen.
Die halbe Entfernung zum Dorf ist schon erreicht. Verwundete rufen nach den Sanitätern. Mancher Kamerad wird aus unserer Mitte gerissen!
In der linken Flanke brechen nun die Sturmgeschütze ein. Die Gegner dort waren teilweise so verblüfft, das sie sich mit erhobenen Händen um die Sturmgeschütze sammelten. Ein Geschützkommandant hielt die Gefangenen von seiner Luke aus in Schach und die mit hängenden Köpfen hinterher marschierenden Russen folgten treu und brav seinen Anweisungen.
Schon sind es zwanzig, dann dreißig Sowjetsoldaten, immer mehr trotten dem fahrenden Stahlungeheuer hinterher. Die beiden anderen Sturmgeschütze durchkämmen mit uns weiter den Streifen links des Bahndammes in Richtung des vor uns liegenden Dorfes.
Mit vor Schreck starren Gliedern werden die wenigen Überlebenden aus den befestigten Löchern herausgeholt. Inzwischen hat die Überlegenheit unserer schweren Waffen die russischen Batterien zum Schweigen gebracht. Schon längst hat die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, als der Gefechtslärm langsam verstummte. Nach langem, hartem Kampf war das Dorf fest in unserer Hand.
Die Freude über den Erfolg war groß, in unserem Gefechtsstreifen lagen über 300 gefallene Gegner, außerdem hatten wir drei Offiziere und ungefähr neunzig Mann an Gefangenen gemacht. Deutlicher konnte sich an diesem Oktobertag 1941 unsere Überlegenheit kaum mehr zeigen.
Der untere Oka-Bogen war ausgekämmt. Unsere Bataillone und Regimenter lagen dicht vor dem Ziel Kaluga, das dann am 11. und 12. Oktober von Süden durch das Infanterieregiment 470 und von Westen durch die 17. Infanteriedivision eingenommen wurde.
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