Am Nachmittag des 28. Juni 1944 waren die Divisionen des XXVII. Armeekorps (25. Panzergrenadierdivision, 78. Sturmdivision und 260. Infanteriedivision) von Feindkräften die nördlich und südlich durchgebrochen waren, bereits eingekesselt.
Bei dem Durchbruch und Übergang über den Fluss Drut hatte das Infanterieregiment 470 schwere Verluste. Doch der Feind hatte bereits einen neuen, stärkeren Riegel im Westen gebildet. Dieser Einkesselungsring wurde ebenfalls durchbrochen. An diesem Durchbruch waren Divisionen des XII. Armeekorps und die Panzergrenadierdivision „Feldherrenhalle“ beteiligt.
Am 01. Juli marschierte die 260. Infanteriedivision zu Fuß über eine Behelfsbrücke über die Beresina, südlich Borissow, wo einst Napoleons Heer zerschlagen wurde. Die ausgebaute Beresina-Stellung konnte nicht mehr besetzt werden, weil russische Kräfte weiter westlich bereits einen neuen Sperrriegel aufgebaut hatten. Unaufhaltsam fluteten etwa 10 Divisionen, deren Einheiten durcheinander geraten waren, ohne klare Führung nach Westen.
Am 04. Juli 1944 stauten sich diese zurück flutenden Massen zwischen Beresina und Minsk. Es gab keine Verpflegung mehr, Benzin und Munition fehlten, die Lage schien hoffnungslos, ein weiteres Durchschlagen nach Westen unmöglich. Deshalb wurde die Parole ausgegeben: „Rette sich wer kann – Durchschlagen in kleinen Kampfgruppen!“
Daraufhin versuchte Oberstleutnant Strohm mit den Resten seines Regimentes aus dem Kessel bei Weliki Bor auszubrechen. Am 05. Juli 1944 wagte er abends um 22:00 Uhr den Durchbruch mit mehreren Stosstrupps. In dieser dunklen Nacht erreichten jedoch nur wenige das befohlene Ziel, Karten und Marschkompass waren Mangelware. Bereits am 06. Juli waren nur noch wenige Kameraden bei ihm, unter anderem Major Braun, der Kommandeur des Pionierbataillons 653. Nach dem Durchwaten einer längeren Sumpfstrecke wurde bei Petrowitschi ein russischer Spähtrupp erfolgreich abgewehrt.
Zwei Tage später wird OTL Strohm und seine kleine Kampfgruppe südlich Kuliki erneut von 4 russischen Reitern angeschossen. Die Kampfgruppe Strohm weicht in ein Sumpfgebiet aus, in das die Russen mit ihren Pferden nicht folgen können. In der folgenden Nacht passieren sie die Brücke bei der Siedlung Trud ohne Zwischenfall, müssen aber erneut im Sumpf mit den Stiefeln im Wasser auf einer Moosbank sitzend eine Ruhepause ostwärts Poski einlegen. Das Schlimmste ist trotz des vielen Sumpfwassers der Mangel an Trinkwasser.
In der Nacht vom 10 auf den 11. Juli wird der Fluss Szisslotsch bei Poski gemeinsam durchschwommen. Die Kleider müssen am Leibe trocknen. Wenn nur nicht der Hunger so quälen würde. Bei dem Versuch in Dubwj etwas zu essen zu erhalten werden sie von Russen erkannt und verfolgt. Dabei geraten sie in einen Wald, der ringsum von Russen gesichert ist. Trotzdem finden sie hier ein gutes Lager, das Wasser und Beeren bietet, ja es gelingt sogar behelfsmäßig Bratkartoffeln herzustellen.
Sofort nach dem Dunkel werden brechen sie auf, verhalten kurz, weil eine russische Patrouille dicht an ihnen vorbei läuft und schleichen sich dann durch die russischen Sicherungen hindurch. Wieder müssen ein Fluss und ein Sumpfwald durchquert werden, dabei stoßen sie auf 2 deutsche Versprengte, die sich ebenfalls durchschlagen. Freudiges Wiedersehen mit Major Kleppe, dem Divisionsnachschubführer der 260. Infanteriedivision der heute gerade Geburtstag hat. Mit Waldbeeren wird dieser Tag gebührend gefeiert.
In Sow Korma trifft die um 2 Mann verstärkte kleine Gruppe auf eine russische Kompanie, kann aber noch rechtzeitig ausweichen. Der Regentag hilft ihnen, sich abzusetzen. Am Lagerfeuer treffen noch einige Panzerjäger zur Gruppe Strohm.
Wenn nur der Hunger nicht wäre. Nachts wird der Ort Saprojode aufgesucht und Brot, Milch und etwas Salz organisiert. Nun schmecken die Feldkartoffeln schon etwas besser. In der Nacht zum 15. Juli verlieren die Nachtwanderer die Orientierung beim Marsch durch einen wegelosen Urwald, erreichen aber endlich doch wieder eine Ortschaft, Melkowitschi. Wieder helfen Beeren, den Hunger zu stillen. Russische Truppen haben alle wichtigen Verkehrsknotenpunkte besetzt, besonders die Flussübergänge. Sie sind nervös geworden und schießen nachts blindlings in die Gegend, wenn irgendwo ein Geräusch zu hören ist. Ein weiteres Vorgehen nach Westen ist nur noch mit größter Vorsicht möglich.
Obwohl die tapfere Gruppe bereits um 19:00 Uhr weiter marschiert, verirrt sie sich wieder im Wald. Der Versuch am nächsten Morgen in Beros einzukaufen scheitert an der Abwehr der Russen.
Der 13. Tag ist ein Unglückstag für die kleine Marschgruppe. Am Tage vorher wurde ausnahmsweise bereits um 13:30 Uhr der Weitermarsch angetreten und zwei Rollbahnen, sowie die Eisenbahnlinie Minsk – Baranowitschi vorsichtig überschritten. Nach 24 Stunden wird ein Lager 2 Kilometer südlich Sashetsche bezogen. Doch das Ausruhen sollte nicht lange dauern. Am 17. Juli, um 18:00 Uhr überfallen russische Soldaten das Lager. Major Kleppe und zwei Mann fallen.
Der Gegner verfolgt die Flüchtenden bis zum Einbrechen der Dunkelheit. Der plötzlich einsetzende starke Gewitterregen hilft, die Verfolger abzuschütteln. Die Nässe zwingt die Männer in Bewegung zu bleiben, bis es hell wird. Im Wald 6 Kilometer nördlich Sash gehen sie zur Ruhe über, wieder ohne jegliche Nahrung.
18 Kilometer nördlich Stolpce wird am 18. Juli um 23:00 Uhr wieder ein Fluss überquert und im Wald 10 Kilometer ostwärts Dereweno gelagert, obwohl die Soldaten seit 2 Tagen nichts mehr zu essen fanden. Der Hunger aber lässt sie nicht ruhen. Am folgenden Abend gelingt es, etwas Brot bei einer „Matka“ zu erbetteln.
Die Beschaffung von Lebensmitteln bereitete die größten Schwierigkeiten. Am liebsten wurden Dörfer umgangen um Feindberührung zu vermeiden. Es blieb aber oft kein anderer Weg, als an die Fenster der Häuser zu klopfen. Oft waren die russischen Menschen so arm, dass sie selber fast nichts mehr hatten, weil die russischen Truppen vorher alles mitgenommen hatten. Die russische und vor allem die polnische Bevölkerung halfen im Allgemeinen gerne, obwohl für die Unterstützung der deutschen Flüchtlinge die Todesstrafe angekündigt worden war.
Meistens lebten die so genannten „Rückkämpfer“ von Getreidekörnern, Waldbeeren, Heidelbeeren und den halb reifen Kartoffeln auf den Feldern, gelegentlich fanden sie Zwiebeln, gelbe Rüben und Erbsen in den Gemüsegärten. Ab und zu gab es einmal Brot und Milch von einer freundlichen Bauersfrau. Nachts um 03:00 Uhr erreichten sie nach einem 5-stündigen Marsch auf Wegen die Gegend 5 Kilometer nördlich Chotow. Die Nationalpolen, die die Russen hassen, sein deutschfreundlich und verhalten sich gut. Sie helfen, wo sie können.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli verläuft sie die Gruppe gründlich, der Kartenrand ist erreicht, ohne Karte geht es weiter. Zweimal wird der Fluss Njemen überschritten. Wenn nur nicht die Wanzen so unangenehm beißen würden. Am 19. Marschtag wir die Taktik gewechselt. Es wird versucht, am Tage zu marschieren. Obwohl die Gruppe um 11:00 Uhr aufbricht, verläuft alles gut. Am Abend wird sogar gewagt, in einer Scheune zu schlafen. Am 23. Juli trifft die Gruppe ein schwerer Schlag: Oberleutnant Merkens verunglückt und Oberstleutnant Strohm wird durch einen Schuss einer Maschinenpistole bei der Abwehr eines Partisanenüberfalls am Bein schwer verwundet. Dies ist die sechste Verwundung des Regimentskommandeurs. 33 Tage lang liegt er zusammen mit Merkens in einer polnischen Scheune ohne ärztliche Behandlung.
Das Bein eitert stark und verursacht ungeheure Schmerzen, an Schlaf ist nicht zu denken. Am 28. Juli entschließen sich anderen Kameraden unter Führung von Major Braun weiterzumarschieren, da sie ihren beiden nicht marschfähigen Kameraden doch nicht mehr helfen können. Die beiden zurückgelassenen Kameraden treffen Vorbereitungen für die bevorstehende Gefangenschaft. Strohm will das Bein ausheilen lassen um dann die Flucht fortzusetzen. Doch an ein Auftreten ist wegen der heftigen Schmerzen nicht zu denken. Der Hunger quält beide, außerdem durchsuchen Partisanen die Scheune, ohne jedoch die Flüchtlinge zu entdecken.
Am Sonntag, den 30. Juli erhalten sie von dem Bauern dem die Scheune gehört etwas zu essen. Doch dieser fühlt sich nicht wohl dabei, weiß er doch dass es um seinen Kopf geht – zumal die Partisanen in der Nähe dauernd schießen.
Die folgenden Tage sind voller Schmerzen und die schlaflosen Nächte sind eine starke seelische Belastung. Wenn man doch nur weiter marschieren könnte. Nachts denkt OTL Strohm oft an seine Angehörigen. Was wird aus ihnen werden, wenn er nicht nach Hause kommt? Er träumt vom Lazarett in Tübingen. Wenn es nur wahr wäre! Da geht am 03. August wenigstens das Geschwür am Bein auf und bringt etwas Erleichterung.
Der 06. August 1944 ist erneut ein schwerer Tag. Die Partisanen finden Merkens und Strohm in der Scheune. Sie nehmen ihnen den Kompass, Uhren, Ringe, Decke, Stiefel und Koppel ab. Am nächsten Tag kommen sie wieder und nehmen Uniformröcke, Pfeife, Tabak und noch andere Dinge mit. Nun haben die beiden fast nichts mehr. Sie liegen ratlos auf dem Heu und hoffen auf Hilfe von Oben.
Nach 17 Tagen ist Friedrich Strohm zum ersten Mal im Haus des polnischen Bauern in Babinsk. Dieser schlägt eine Verlagerung der Unterkunft in ein etwa 1 Kilometer entferntes Gut vor. Dorthin lässt er die Beiden, auf einem Pferdefuhrwerk gut getarnt, durch seine Frau Magda transportieren. Doch auch hier drängt der Bauer bald zum Aufbruch. Strohm, der jetzt etwas aufstehen kann, soll alleine weiter, aber was soll mit Merkens geschehen? Beide wissen keinen Ausweg. Nachts werden sie wiederum von Partisanen überfallen, doch bei den Verwundeten ist nichts mehr zu holen. Sie leiden sehr bei den Gedanken an ihre Familien.
In den Nachbarorten sind jetzt viele russische Soldaten; sie sitzen wie auf heißen Kohlen, denn sie sollten weitergehen und können doch nicht. Die Kugel steckt immer noch im Bein von OTL Strohm. Merkens soll jetzt ins Krankenhaus nach Tjwa, er hat einen fürchterlichen Durchfall. Aber das bedeutet russische Gefangenschaft. Wenn die Russen sie erwischen ist es aus!
Am 24. Tag nach der Verwundung entfernt Strohm nach längerer Massage durch einen Eingriff mit dem Taschenmesser das Geschoss aus seinem Bein. Er ist seinem Herrgott dankbar und hofft nun bald wieder marschieren zu können.
Fünf Tage später, am 21. August, sind wieder russische Truppen in der Nähe. Strohm muss fort sonst ist es zu spät. Am 50. Tag nach dem Ausbruch aus dem Minsker Kessel treffen Franz und 4 deutsche Soldaten ein. Am darauf folgenden Tag, am 24. August, quartieren sich ausgerechnet 7 Russen auf diesem Gut ein. Merkens wird gefangen genommen, es geschieht ihm aber nichts. Strohm sitzt mit den anderen Kameraden in einem Versteck und kann alles beobachten. Nachts jedoch schläft er in einem Nachbarort, kehrt jedoch am 26. August noch einmal zu Oberleutnant Merkens zurück, um sich von ihm zu verabschieden. Merkens sieht sehr schlecht aus. Günther versorgt ihn, da er sich immer noch nicht alleine helfen kann und die Russen sich nicht um ihn kümmern.
Am 27. August marschiert OTL Strohm mit Franz und Michel 15 Kilometer weiter. Die Eisenbahn und Straße Lida – Wilna werden am Tag darauf überquert. Das Bein schmerzt durch die ungewohnte Anstrengung eines 20-Kilometer-Marsches. Nachts wird ein Quartier in Luguwitschi bezogen. Nach 7 Tagen Marsch erreichen die drei Flüchtenden Miliwitschi, um am 05. September nach 62 Kilometern einen Ruhetag einzulegen.
Hier treffen sie auf 5 deutsche Soldaten. Die Front soll angeblich 8 Kilometer nördlich Grodno verlaufen. Überall wimmelt es vor Partisanen. Am 07. September werden sie von zwei russischen Partisanen beschossen, am Abend kommen polnische Partisanen in ihren Heuschober, aber es geht wieder einmal alles gut.
In den nächsten 8 Tagen werden 104 Kilometer zurückgelegt. Es sind besonders für Strohm anstrengende Marschtage, teilweise durch Urwälder die große Umwege mit sich bringen. Doch sie nähern sich jetzt Ostpreußen und hören den Gefechtslärm der Front. Sie marschieren durch sumpfiges Gelände, dichten Wald 15 Kilometer nördlich Druskiwiki und eine Waldsiedlung namens Premoschi.
Am 14. September starten sie zum Njemenübergang. Der Versuch schlägt fehl. Starke Posten beiderseits Schönelli verhindern ihre Absicht. Sie versuchen, 18 Kilometer weiter südlich diesen Fluss zu überqueren. In der Nacht vom 16. auf den 17. September gelingt es ihnen unbemerkt den Fluss zu durchschwimmen, etwa 25 Kilometer nördlich von Grodno (heute Hrodna). OTL Strohm schreibt in sein Tagebuch: „Ich spüre das Walten Gottes, der uns begleitet. Denke viel an Frau und Kind. Ob sie mich wohl erwarten?“
Nun sind es nur noch 50 Kilometer bis zur deutschen Front. Im Suwalki-Zipfel erfolgt der Marsch über die Deutsch-Polnische Grenze. Der Grenzfluss ist jedoch feindbesetzt. Bei einem russischen Überfall wird Franz versprengt und Michel bleibt zurück. Strohm und Köster versuchen am 18. September noch einmal den Fluss zu durchschwimmen, diesmal mit Erfolg.
Sie marschieren durch den Augustower Wald. Als sie ein paar Zivilisten um etwas Brot bitten, werden sie an russische Truppen verraten. Sie können gerade noch rechtzeitig entkommen. Auch am nächsten Tag werden sie bei dem Versuch Kartoffeln zu organisieren, erwischt. Sie können gerade noch rechtzeitig verschwinden bevor es zu einem Feuergefecht kommt. Am 21. September erreichen sie, nach dem Überschreiten der Eisenbahnlinie Augustowo – Grodno, die russischen Stellungen.
Am 80. Tage der aufregenden Flucht gelingt es den beiden, sich bis auf 3 Kilometer an die deutsche Hauptkampflinie heranzuarbeiten. Hier erwarten sie den Einbruch der Dunkelheit, um in der Nacht die deutschen Linien zu erreichen. Es ist der 22. September 1944. Die Aufzeichnungen von OTL Strohm enden hier.
Aus einem Bericht von Hauptmann Georg Schmidt, dem Bataillonskommandeur in einem Regiment der 299. Infanteriedivision entnehmen wir Folgendes: “Am 24. September beobachtet ein deutscher Posten in einem 400 Meter vor der Hauptkampflinie liegenden Hauhaufen ein Winken mit einem Heubüschel. Bei einbrechender Dunkelheit setzte ein Spähtrupp unter Führung von Leutnant Frohwein über den Kanal, um den vermeintlichen Überläufer zu holen. Der Spähtrupp fand einen deutschen, schwer verwundeten Soldaten in russischer Uniform, der sich als Oberstleutnant Strohm, Kommandeur des Grenadierregiments 470 zu erkennen gab. Einige Soldaten, ehemalige Angehörige der 260. Infanteriedivision erkannten ihn sofort. Auf dem Transport zum Truppenverbandplatz auf einer Trage machte er noch einen frischen Eindruck und erzählte trotz seiner Schmerzen von seiner abenteuerlichen Flucht. Mit seinem Bauchschuss habe er noch vor zwei Tagen den Grenzfluss alleine durchschwommen und zwei Tage in dem Heuhaufen zugebracht.“
Als der Bataillonsarzt der Einheit mit der Feldpostnummer 07195 ihn verbinden wollte (er trug weder am Bauch noch auf den anderen Wunden einen Verband), wurde er immer blasser, sein Blick starr und wenige Sekunden später erlosch sein junges Leben. In feierlicher Form wurde er auf dem Heldenfriedhof Boschimmern beigesetzt.
In Würdigung seiner tapferen, außergewöhnlichen Leistungen und seines Einsatzes wurde Oberstleutnant Strohm aufgrund der „Verordnung über die Beförderung während des Krieges gefallener, gestorbener oder vermisster Soldaten“ mit Wirkung vom 01. September 1944 zum Oberst befördert.
Am 18. Oktober 1944 wurde ihm posthum als 613. Soldaten das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen verliehen.
Dr. Tim Gerhard