Nach dem Übergang der 260. Infanteriedivision über die Beresina zwischen dem 11. und 13. August 1941 rückten die Regimenter und Batterien über Lyady – Wassiliewitsche – Nowo Markowitschi und Welikii Less gegen den nahen Dnjepr vor um sich dort zum Angriff über den Fluss bereitzustellen.
Die Gegend war sumpfig und moorig, die Wege weich und zerfahren und oft blieben Fahrzeuge im Morast stecken, besonders da durch die Bespannfahrzeuge der Artillerie die Fahrspuren immer wieder zerstört wurden. Die letzten zwei Kilometer vor dem Dnjepr-Ufer führte die Straße ostwärts Schirowka als hoher, sandiger Dammweg dahin, links und rechts unheimliches Moor, so dass für umfassende Verkehrsregelung ganz besonders gesorgt werden musste, damit keine Stockungen eintraten.
Der Divisionsstab verbrachte die Nacht in einem großen Holz-Theatersaal in Nowo Markowitschi. Der Dnjepr zeigte sich hier als großer Fluss mit guter Strömung, tiefem klarem Wasser, ausgeprägtem Flussbett und steileren Ufer, ohne die sonst so gefürchteten moorigen Uferstrecken. Man erwartete hier stärkeren Widerstand des Gegners, zumal zahlreiche Feldbefestigungen erkannt wurden.
Die Vorhuten der Division waren aber schon am Abend über den Fluss vorgestoßen. Die sowjetischen Kräfte wichen zurück und beabsichtigten offenbar nicht, hier starken Widerstand zu leisten. So konnte schon in der Nacht vom 13. auf 14. August mit dem Übersetzen der Division begonnen werden. Um 03:30 Uhr in der Früh befand ich mich bereits mit den Verkehrsregelungstrupps und Feldgendarmerie an der Übergangsstelle, wo – da noch keine Brücke gebaut war – in einem regen Fährbetrieb auf zahlreichen Pontonfähren die Einheiten durch die Pioniere übergesetzt wurden, was entsetzlich langsam ging und wegen des Vorranges immer wieder einzuschleusender Einzelfahrzeuge, zu vielen Reibereien führte.
Um bei den langen Wartezeiten der überzusetzenden Formationen keine Stockungen vor der Übergangsstelle eintreten zu lassen, wurden die Einheiten durch Verkehrsposten und Ablaufoffiziere bereits bis zu 2 Kilometer vorher abgefangen und getarnt bereitgestellt, und erst von den Ablaufpunkten abgerufen, wenn die Reihe zum Übersetzen an sie kam. Wie richtig dieses Organisation war, bewies einsetzendes Artilleriefeuer auf den Anmarschweg und ein Tieffliegerangriff, der um 12:15 Uhr auf die Übergangsstelle erfolgte.
Gegen Mittag erschien an der Übergangsstelle der Korpspionierführer. Nach dem ich ihm eindringlichst die Schwierigkeiten und den Zeitbedarf beim Fährbetrieb geschildert hatte, gab er seine Einwilligung und den Befehl zum Bau einer Kriegsbrücke. Diese wurde dann rasch bis zum Abend fertig gestellt, so dass wenigstens die restlichen Teile der 260. Infanteriedivision und der nachfolgenden Division flott über den Fluss gehen konnten.
Der Betrieb an der Befehlsstelle des Stabsoffiziers für Marschüberwachung („StOMü“) war sehr lebhaft und aufreibend: Tag und Nacht ein ununterbrochenes Laufen und Telefonieren, Meldungen der Ablaufoffiziere über die auf 3 verschiedenen Marschstraßen anrückenden Truppen beider Divisionen, Bereitstellen derselben und Abrufen, Weitergeben der vielen fernmündlichen Befehle der Divisionen an die einzelnen vorbeiziehenden Formationen, Einschleusen von Einzelfahrzeugen usw. Dazu immer die Sorge um die Auflockerung der Kolonnen wegen eventueller Luftangriffe, Artilleriebeschusses oder wegen gemeldeter Kanonenboote. Wir kamen die ganzen Nächte dort nicht zur Ruhe.
Am 15. August 1941 lag in der früh dichter Nebel über der Dnjepr-Niederung. Dicht neben dem Befehlsstand lauerten 2 leichte Feldhaubitzen des Artillerieregiments 260 in den Nebel hinein und warteten auf die sagenhaften Flusskanonenboote. Ununterbrochen ziehen die Truppenteile der beiden Divisionen über die schöne Kriegsbrücke. Allmählich aber versiegt der Strom und – nachdem die letzten Fahrkolonnen unserer Division abgelaufen waren – konnte die Übergangsregelung aufgehoben werden. Um 17:00 Uhr überschritt ich selbst den Dnjepr und rückte ab zur Quartierstaffel 260. Infanteriedivision nach Schtchitny, das gerade zum Empfang, wie auch in der Nacht schon, mit Artillerie beschossen wurde.
Der rasche Übergang über den Dnjepr bei Schichowo und Strešyn ermöglichte es dem Korps, einen kühnen, ca. 50 Kilometer tiefen Einbruchskeil nach Osten voranzutreiben, der zur Aufspaltung der russischen Front führte und noch eine taktisch interessante Lage schuf: kämpfte doch das Korps nun nach drei Fronten – Norden, Süden und Osten – um seinen Frontkeil zu erweitern bzw. gegen von allen Seiten anrennende russische Truppen zu halten, welche sich durch unsere Fronten hindurch zur ihren bei Gomel und Kiew stehenden Armeen durchzuschlagen versuchten.
All die Dorfnamen im großen Einbruchsbereich des Korps erwecken lebhafte Erinnerungen an diese Kämpfe und Überfälle in uns, wie Gubitschi, Potapowka, Guta (hier lag der Divisionsgefechtsstand) und Borowucho. Ganz besonders aber das mitten zwischen den durchbrechenden russischen Truppen liegende Schtschitny.
Dr. H. Fronmüller, damals Major und Stabsoffizier für Marschüberwachung