Ein kleiner Rest der 260. Infanteriedivision hatte es geschafft, dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Juni 1944 zu entkommen.
Dieser wurde schon Ende Juli als Kampfgruppe 260 im Rahmen der 299. Infanteriedivision an der ostpreußischen Grenze wieder eingesetzt und hatte gleich hohe Verluste. Am 8. Oktober wurden wir abgelöst, meinen Zugabschnitt übergab ich an einen blutjungen Leutnant namens Graf von Kastell vom Reiterregiment Mitte, wir aber wurden auf dem Bahnhof Grayewo verladen und hofften, endlich mal vom Osten weg zu kommen, vielleicht nach Italien oder in den Westen. Der Zug fuhr über Lyck, Johannesburg, Ortelsburg durch die Masurschen Seen, dann bog er leider in die falsche Richtung nach Süden, wir wurden auf freier Strecke ausgeladen, dann ging es mit einer Kleinbahn leider wieder nach Osten.
Wir landeten im Narewbogen, wo der Russe einen Brückenkopf gebildet hatte. Da war gleich der Teufel los. Am 11. wehrte ich mit meinem Zug einen starken Angriff ab, der rechte Zug setzte sich ab, wir hielten die Stellung bis zur Dunkelheit, ich wäre ohnehin nicht über die Höhe gekommen, die unter schweren Beschuss der Russen lag. Rechts hatte ich keinen Anschluss, da rückte der Iwan ein. Es regnete übrigens an diesem Tag in Strömen und wir waren Schlamm verschmiert. Es dunkelte und wir setzten uns ab, gerieten aber ins Feuer eines deutschen Schützenpanzers, der uns für Russen hielt. Als ich gegen Morgen meinen Kompanieführer wieder gefunden hatte, bot er mir einen Schnaps an und sagte, er habe mich beim Bataillon gelobt. In den nächsten tagen war wieder allerhand los.
Dann kam der 15. Oktober. Wir besetzten morgens eine Stellung im Hochwald, vor uns lag eine Lichtung, gruben mit unseren Spaten Schützenlöcher, was durch die Bäume der Wurzel gar nicht so einfach war. Nun wurde von links durchgegeben: da drüben steht ein Panzer, dieser war von mir aus nicht sichtbar, es hieß, die Besatzung montiert daran. Mein Chef war gleich Feuer und Flamme. Dieser Leutnant Frischmayer kam aus Norwegen, war noch nicht lange hier im Osten, wir hatten im da viel voraus. Er lies sich eine Panzerfaust geben, schlich auf günstige Entfernung vor, aber entweder war er zu nervös oder er hatte schlecht gezielt, er traf nicht. Ein junger Unteroffizier mit Namen Schneider mit einigen Soldaten ging nun vor, machte die Besatzung unschädlich und sprengte den Panzer.
Schneider ist am gleichen Abend noch gefallen. Als nun der Panzer qualmte, kam neues Unheil. In meinem Abschnitt stand ein zweiter, gut getarnt, den wir durch das Unterholz nicht gesehen hatten. Dieser trat nun in Tätigkeit, zuerst fiel mein Leutnant, er hatte nur ein flaches Loch gegraben, dann kam ich dran. Beim zweiten Schuss erwischte es mich. Ich sackte sofort zusammen und mein Gedanke war, so ist es, wenn man stirbt. Sollte ich jetzt auch zu den vielen Toden Kameraden gehören; warum ich Plomben ausspuckte, weiß ich bis heute nicht, auch nicht warum der Panzer jetzt aufhörte. Mein Stahlhelm hat sicher schlimmeres verhütet. Die Kamerad en riefen nach mir, kamen und wollten mich aus meinem Loch heraus ziehen, Erde war auch hinein- gerieselt. Aber ich sagte: „Last mich liegen! Es ist Zwecklos!“
Ich war durch einen Splitter im zweiten Halswirbel gelähmt. Aber es gab im Jahre 1944 noch gute Kameraden. Sie legten mich auf meine Zeltbahn und schleiften mich zurück. In einer Atempause sagte ich zu einem, dem Gefreiten Proske: „Mach meine Dienstuhr weg, die kannst du haben, und schreib meinen Leuten viele Grüße heim“. Als ich Granateinschläge hörte, sagte ich zu ihnen: Legt euch doch hin sonst seit ihr auch noch he“, wie man im schwäbischen sagt. In Sicherheit war ich jetzt, aber gelähmt, dazu hatte ich noch einen Splitter im rechten Lungeflügel. So kam ich auf den Hauptverbandsplatz. Man legte mich dort und noch andere auf eine Pritsche. Neben mir lag ein Oberfeldwebel. Am nächsten Morgen war er still und leise. Er war tot.
Als Rekrut in Pforzheim hing da ein Wandspruch, wo es heißt: „Fahl die Augen blas die Wangen, leise in den Tod gegangen, anspruchslose Infanterie, möge Gott dich schirmen.“ Dieser Spruch begleitete mich über meine ganze Soldatenzeit, und dieses war nun meine vierte Verwundung. Die weiteren Stationen: Mit der Ju 52 ins Lazarett nach Lodz. Als man mir dort meine Uniform auszog, sagte ich: „Last mir meine Klamotten da!“ Als Antwort hörte ich: „Die brauchen Sie nicht mehr“. Das gab mir zu denken. Hier hörte ich etwas von Querschnittlähmung. So etwas sollte ich haben.
Im Lazarettzug hielt ich den Transport nach 14 Tagen nicht aus, ich war wund gelegen und wurde als Notentladung in Lüneburg ausgeladen. Dort hatte ich Wunschkost. Man gab mir 8 Wochen lang das Essen, ich wurde massiert, und dann passierte ein Wunder, der Nerv im zweiten Halswirbel war nur gequetscht, es wurde besser, und der Rollstuhl blieb mir erspart. Im Februar 1945 sollte ich von der Wehrmacht entlassen werden, aber ich bat um eine Operation. So wurde ich nach Hamburg verlegt und von Professor Brütt mit Magnet operiert. Das war mein Kriegsende.
Adolf Götz