Nach Beginn des Frankreichfeldzuges marschiert unsere 3. Kompanie, Infanterieregiment 480 im Divisionsverband in der letzten Maiwoche 1940 als Reserve durch Luxemburg und durch ein Stück Belgien in das vom Krieg gezeichnete Frankreich.
Nach Eilmärschen kommen wir über die Maas und am 03. Juni nach Signy l’Abbaye, 20 Kilometer hinter der Aisne-Front.
Unsere Division ist Armeereserve. Sie gehört dem Armeekorps an, das von General von Vietinghoff geführt wird. Weiterhin unterstehen ihm 2 aktive Divisionen, die 20 Kilometer vor uns bei Rethel an der Aisne liegen. Das Korps gehört zur 12. Armee unter General List.
Am 04. Juni haben wir uns in Signy l’Abbaye häuslich eingerichtet. Herrliches, heißes Wetter. Unsere Wäsche trocknet im Nu. Jeder wird zu einer eifrig schrubbenden Waschfrau. Die Kochen können, stehen an von Bewohnern verlassenen Herden und brutzeln etwas. Abends rast ein Kradmelder an unserem Haus vorbei: „Dünkirchen ist gefallen!“ Damit ist uns allen klar ist die Schlacht an der Nordfront zu Ende und es wird bald bei uns hier im Süden losgehen.
Heute ist der 05. Juni. Die Kompanien leiden unter dem Nachrichtenmangel. Wir erfahren nichts von dem, was vorgeht. Aber so viel dringt doch durch, dass heute nach die Sondermeldung durchkam, für den heutigen Tag sei das Antreten der Südfront zum Angriff befohlen. Die Offensive hat am nördlichen Flügel der Südfront, also am Kanal bei Abbéville und an der Somme, schon begonnen. Wir merken davon noch nichts, höchstens dass die Fliegertätigkeit wieder auf Hochtouren läuft und wir in Marschbereitschaft gesetzt sind.
Am 08. Juni sind 3 weitere Tage des Abwartens, der Spannung, des Nachrichtenmangels vorbei. Wir führen ein fast familiäres Leben in den Häusern, die wir uns wohnlich eingerichtet haben. Sogar Blumen stehen auf einem leinengedeckten Tisch. Morgen ist Sonntag. Ob er die Tradition des Marschieren fortsetzten wird? Heute Nacht hörten wir aus Richtung Reims heftiges Artilleriefeuer, so dass unsere Scheiben klirrten. Der „Garnisonsdienst“ der Kompanie gipfelte heute in einem Scharfschießen auf einem französischen Vereinsschießstand.
Seit Mitternacht am 09. Juni waren wir in Alarmbereitschaft. Um 04:45 Uhr setzte in unserem Abschnitt die Offensive ein. Erst Tage später wurde uns klar, dass damit die entscheidende Aktion innerhalb der großen Gesamtoperation vom 05. – 24. Juni begonnen hatte. Um Viertel vor Fünf erzitterten die Wände. Eine gewaltige, wenn auch kurze Feuervorbereitung hat vor uns eingesetzt, keine Einzelabschüsse unterscheidbar, nur ein einziges Dröhnen. Vor uns kämpfen bei Rethel und Attigny unsere beiden aktive Divisionen um den Übergang über die Aisne und den knapp dahinter verlaufenden Aisne-Oise-Kanal. Sobald sie drüben sind, werden wir folgen.
In der Nacht ein Fliegerangriff, die Bomben fallen zwar außerhalb von Signy, lassen aber das Städtchen erschüttern. Es scheppert gewaltig.
Die Durchzugsstraßen sind abgesperrt, der Durchmarsch von zwei Panzerdivisionen wird erwarten. Sie stoßen vor, sobald Pioniere und Infanterie jenseits der Aisne und des Kanals Brückenköpfe gebildet haben. Es ist also einmal umgekehrt: die Fußtruppen müssen den Panzern in schweren Kämpfen den Weg für die ersten Schritte bereiten. Dann allerdings wird die Gruppe Guderian – zu ihr gehören die beiden Divisionen – ihren Angriff vortragen.
Der Sonntag wird drückend heiß. Der Kanonendonner von vorn reißt nicht ab. Verwundetentransporte treffen unaufhörlich ein. Das Feldlazarett von Signy ist rasch überfüllt. Die Kirche wird zur Aufnahme von weiteren Verletzten bereitgestellt. Auch sie ist bald voll belegt.
Die Verwundeten schildern, zum Teil noch ganz verstört, die Verbissenheit des Kampfes vor uns. Pioniere und Infanterie ringen um jedes Stück Boden. Mehrmals werden schon fertige Brücken von gut gezieltem französischem Punktfeuer wieder zerschlagen. Aber abends müssen sie endgültig fertig sein, die Panzer warten darauf. Und abends sind sie fertig.
Der Übergang ist, wenn auch mit schweren Blutopfern, erzwungen. Der sonntägliche 09. Juni war ein heiß umkämpfter Tag für die beiden Divisionen. Und abends treten auch wir an, denn nun werden wir ebenfalls nachgezogen.
Am 10.Juni erreichen wir nach langwierigem Nachtmarsch Séry bei Réthel. Die Hauptstraßen mussten ausgespart werden für die Panzer, die den am Sonntagabend geschlagenen Brücken zustrebten. Es ging für uns also auf Neben- und Umwegen voran. Wir beziehen ein Tagesbiwak in Séry, acht Kilometer nördlich von Réthel. Der Lärm des Kampfes ist sehr nahe. Unsere Divisions-Batterien feuern noch aus ihren Ausgangsstellungen. Wir schlafen bis zum Mittag, dann vernehmen wir die weltgeschichtliche Nachricht: Kriegseintritt Italiens!
Am späten Nachmittag wird das Regiment 3 Kilometer vorgezogen. Wir biwakieren jetzt 5 Kilometer nordostwärts von Réthel in der Umgebung eines Schlosses, das unserem Divisionsstab als Quartier dient. Um 23:00 Uhr liegt alles im Schlaf und dann Alarm!
2 Stunden nach dem Alarm wieder Kommando zurück! Das Regiment kann sich zur Nachtruhe zurückziehen. Der Rest der Nacht, sie ist hell und klar, gewürzt durch Fliegerschauspiel. Ein französischer Jagdflieger attackiert uns mit MG und Leuchtspurmunition. Ich höre eine Garbe ins nahe Gebüsch prasseln. Dann geht es aber los! Ein Feuerwerk sondergleichen steigt hoch, Scheinwerfer, Flak-Mündungsfeuer, die Leuchtspuren unserer Abwehr. Der Flieger haut ab. Um 08:00 Uhr ist Abmarsch. Kurz darauf erreichen wir ein beschwerliches Teilstück, auf dem viele Fahrzeuge hängen bleiben. Dazu prasselt ein Wolkenbruch auf uns hernieder. Kurz darauf brennt wieder schwüle Sonne auf die überbeanspruchte Straße.
In den ersten Nachmittagsstunden erreichen wir westlich von Réthel die Aisne, ein unscheinbares Rinnsal, das Bett eine Art Hohlweg. Wenige Meter dahinter der Kanal. Über die Notbrücken – und wir stehen inmitten der am Sonntag niedergekämpften Weygand-Linie.
An vielen Firsten fressen Flammen, unbeachtet flackern Brände aus Gehöften. Vorbei am Westausgang der zerstörten Stadt Réthel. Überall Tote, viel erschossenes Vieh liegt herum. Die Verbissenheit des Kampfes ist zu erkennen. Durch Höfe und Scheunen laufen die Gräben. Jedes Haus ist ein Notbunker, nun ist alles zerschlagen. Der Gegner flutet zurück nach Süden. Langsam kommen wir vorwärts, der blutrote Schein eines brennenden Dorfes weist uns die Richtung. Von dort hören wir immer wieder Detonationen und viel weiter südlich sehen wir ein paar Mal das Aufflammen riesiger Explosionen am nächtlichen Himmel.
Nach Mitternacht erreichen wir den brennenden Ort Bignicourt. Die letzten Gegner sind hier eben geworfen worden. Ein Radfahrzeug des Bataillons war bei der Schlusssäuberung dabei. Die Kompanie bezieht Quartier im Nachbardorf Ville sur Retourne.
Wider erwarten verblieben wir am 12. Juni hier. Es regnete. Das nahe Bignicourt brennt noch an mehreren Stellen, doch das meiste hat der Regen gelöscht.
Die Weygand-Linie hatte hier einen ihrer typischen Stützpunkte: Jedes Haus eine Festung. Neben Heiligenbildern sind Schießscharten durch die Wände geschlagen. Die Ställe sind Munitionslager. Unterirdische Stollen verbinden das Schlafzimmer des einen Hauses mit der Küche des Nachbaranwesens. In einem Keller finden wir statt Wein ein paar französische Soldaten. Sie fragen, noch bevor wir etwas sagen können, nach dem nächsten Sammellager. Ein Elsässer führt sie dann nach hinten.
Die Nacht verbrachte das Regiment dann noch am gleichen Ort. Es goss in Strömen. Heute, am 13. Juni marschieren wir weiter in Richtung Südosten, etwa in Richtung Verdun. Unsere Panzer sollen schon 50 Kilometer vor uns sein. Während des Tages hören wir erheblichen Gefechtslärm links, rechts und vor uns.
Am späten Nachmittag beziehen wir ein Biwak an der Vormarschstraße. Das ganze Regiment liegt eng beisammen an einem Waldrand. Neben uns, schlicht und schön, ein deutscher Artilleriefriedhof von 1916. Etwa 30 Gräber, die Male noch mit gut leserlichen Inschriften aus Stein. Auf einem Grabe lesen wir: „Hier ruhen zwei tapfere französische Flieger…“ Der einsame Friedhof inmitten von Gestrüpp zugewucherten Granattrichtern des ersten Weltkrieges ist uns eine ernste Mahnung.
Wir stehen am Rande der Champagne, die damals das Blut von Hunderttausenden trank. Abends zieht ein langer Gefangenentransport an uns vorbei, etwas später noch ein LKW voll mit farbigen französischen Soldaten. Dann beginnen wir unsere Müdigkeit neben den Ewigkeitsschläfern des ersten Weltkriegs auszuschlafen.
Da geht um 23:00 Uhr plötzlich ein Raunen, dann Aufhorchen und schließlich lauter Jubel durch die Kompanien: Paris hat sich zur Übergabe entschlossen! Es dauert lange bis die freudige Erregung wieder abebbt und in den Schlaf der restlichen Nachtstunden mündet.
Der 14. Juni ist ein strahlender Sommertag. Wir marschieren um 08:45 Uhr ab. Noch ein stummer Gruß den Toten des ersten Weltkrieges, dann nimmt uns das wellige Land der oberen Champagne auf. Wir stehen direkt zwischen Verdun und Reims, tief im Rücken der Maginot-Linie.
Wir marschieren über die Schlachtfelder von 1916/1917, die Trichterfelder sind unübersehbar. Mächtige Denkmäler stehen auf den beherrschenden Höhen. Ein paar frische Gräber in den Kornfeldern, liebevoll geschmückt mit Mohn und Margeriten. Einige wenige nur – daneben aber der Weltkriegsfriedhof von Souain mit erschütternden Zahlen. Hier ruhen 43.215 Soldaten, davon 11.320 unbekannt und 2.388 namentlich aufgeführte Deutsche. Bei der Errichtung dieses Friedhofes hat viel Pietät gewaltet. Von Souain über Suippe bis La Croix de Champagne. In Suippe, ziemlich mitgenommen, strömt Wein aus allen Kellern.
Am 15. Juni ist Verdun gefallen. Der Regimentsbefehl deutet auf große Marschleistungen hin. Abends beziehen wir Biwak um Noirlieu. Im Osten begrenzen die Argonnen den Horizont.
Wir ziehen seit zwei Tagen durch Menschen- und wasserarmes Gebiet. Die Straßen sind Zeugen des überstürzten französischen Rückzuges. Immer wieder stehen mächtige Panzerwagen als hilflose Wracks am Straßenrand.
Sonntag, der 16. Juni: bereits der Morgen ist sehr warm. Die Gruppe Guderian steht angeblich schon in Höhe Bessançon. Am Vormittag erreicht uns der Regimentsbefehl: der Gegner weicht in Richtung Dijon aus, er muss um jeden Preis abgeschnitten werden, daher: Verfolgung!
Hier gab es gestern und vorgestern kein Halten für den weichenden Gegner. Dann an einem Hang, vor dem das Regiment Mittagsrast hielt – der Regimentskommandeur trug zum ersten Mal die Spange zum EK II – auf einmal wieder Trichter neben Trichter, zerrissene Stellungen, ausgebrannte Höfe. Die Opfer sind schon bestattet: Gefallen am 15. Juni, also gestern.
Es wird bekannt, das heute am Oberrhein, bei Breisach, die Offensive ebenfalls begann. Wieder stehen wir genau im Westen davon.
Der Sonntag ist lang und heiß. In den Naschmittagsstunden stoßen wir immer wieder auf Spuren heißer Gefechte. Nach der Überquerung des Rhein-Marne-Kanals zähle ich an ganz kurzer strecke allein im Straßengraben 18 tote französische Soldaten.
Kilometerweit einer Bahnstrecke entlang, Waggon an Waggon, Tausende. An der anderen Straßenseite, etwa 100 Meter von uns entfernt, lagen mindestens zwanzig tote Rinder und Pferde. Die Herde geriet offenbar in eine Feuergarbe.
Abends passieren wir Brabant und bald darauf Revigny. Hier wimmelt es in einem zum Sammellager verwandelten Schlosspark von Aberhunderten bunter Turbane. Gegen Mitternacht erreichen wir unser Ziel: Biwak im Raum von Vassincourt, unweit Bar le Duc.
Am 17. Juni erreicht uns ein Divisionsbefehl; Jedem Soldaten muss bewusst sein, das die großen zu fordernden Marschleistungen die Blutopfer einer letzten Entscheidungsschlacht zu sparen haben. Verfolgung, Verfolgung…! Es sind 60 Kilometer angesagt. Am Vormittag marschieren wir durch Robert Espagne. Uns begegnen Gefangene in Massen. Ein Offizier bittet mich in deutscher Sprache um Neuigkeiten. Ich sage ihm, das Reynaud zurückgetreten und an seine Stelle Petain gekommen sei. Seit Tagen sehen wir die ersten Zivilisten. Flüchtlinge kehren mit hoch bepackten Wagen heim. Wir marschieren ohne Ende. Um 17:50 Uhr durchqueren wir La Houpette. Petain hat erklärt, Frankreich müsse die Waffen niederlegen. Wir eilen weiter, mit unbeschreiblichen Gefühlen. Eine Zeitlang fällt alle Müdigkeit ab. Immer wieder begegnen uns Flüchtlinge. Sie fragen bang, ob es wahr sei, das ihr Elend zu Ende gehe. Ja, ja, aber für uns heißt es marschieren. In und um Chevillon ist endlich Rast. Es ist 02:00 Uhr morgens geworden. Am 18. Juni um 08:00 Uhr morgens ist das Regiment wieder marschbereit. Steil ist der Anstieg aus dem Tal von Chevillon. Nun ziehen wir über welliges Hochland, in das eingeschnitten die Flusstäler eingebettet sind. Von Südosten her dringt lebhaftes Artilleriefeuer an unsere Ohren.
Die Infanterie führt den Krieg mit den Beinen. Die sind aus Muskeln und Knochen. Man kann sie nicht schmieren oder ölen wie Motoren. Da hilft nur Zähne zusammenbeißen. Abends machen wir zwei Stunden Rast bei Magoncourt. Wären wir ausgeruhte Wanderer, würden wir jetzt in Entzückung ausbrechen. Prachtvolle Landschaft, friedliche Abendstimmung, sattgrüne Wiesen und lachender Tag. Aber wir sind hundemüde. Lange nach Mitternacht halten wir bei Remontcourt. Es waren über 60 Kilometer…
Nach ganz kurzem Schlaf geht es am 19. Juni um 07:00 wieder weiter. Wir sind zu müde zum Umsinken. Wird einmal eine kleine Pause eingelegt – das ist selten genug – sinken tatsächlich alle um. Kein Kommando könnte präziser ausgeführt werden.
Heute lösen wir die Division vor uns ab, beziehen also die vorderste Linie. Bis dahin sind es noch 55 Kilometer. Ob wir noch Feindberührung haben werden?
Heute wir ein Erlass der Wehrmacht bekannt gegeben: „Frankreich hat durch Vermittlung Spaniens um die Waffenstillstandsbedingungen gebeten. Die Kampfhandlungen sind mit aller Energie und in dringendster Verfolgung weiterzuführen. Die Wehrmacht soll so rasch wie möglich die Linie Verdun – Toul – Belfort sowie die Häfen Brest und Cherbourg erreichen. Also weiter!
Hier bei Andelot – der Ort hat schwer gelitten – versuchten vorgestern französische Truppen einen letzten verzweifelten Widerstand. Zerrissene Barrikaden, zerschossene Häuser und Soldatengräber sind das Ergebnis.
Wir marschieren noch bis nach Mitternacht. Dann beziehen wir Unterkunft in Champigny-Charme, einige Kilometer nördlich von Langres. Völlig ausgepumpt und fertig sinkt alles aufs Stroh. Feindberührung war nicht herzustellen.
Am Vormittag des 20. Juni passieren wir Langres. Das Regiment zieht in gewohnter Marschformation weiter, von Kampfhandlungen kann keine Rede sein. Wo hier und da noch versprengte Abteilungen des Gegners auftauchen, schichten sie beim Anblick nahender Deutscher Soldaten die Waffen auf saubere Haufen, soweit sie diese nicht schon vorher an Alleebäumen zerschlagen haben.
In Langres, der alten Festung im Zentrum des berühmten Schlachtenplateaus stoßen wir auf die prächtige, schattige Rue nationale, die zumeist schnurgerade nach Süden verläuft. Sie wird unsere weitere Vormarschstraße sein.
Wir sehen massenhaft Flüchtlinge in Autos, auf Karren, auf Rädern oder zu Fuß. Die breite Allee wimmelt vor Menschen. Aber wir trotten durch den Wust und merken ihn kaum. Kolonne jagt Kolonne, oft drei, vier nebeneinander. Und gegen diesen Strom kämpfen verzweifelt die Flüchtenden an. Wir traben immer weiter nach Süden, Kilometer um Kilometer. Gegen Mitternacht ruhen wir in Til-Chatell, 20 Kilometer vor Dijon.
Am 21. Juni marschieren wir weiter auf der Rue nationale und erreichen nachmittags Dijon. Dort findet ein Vorbeimarsch an unserem Divisionskommandeur, General Hans Schmidt statt. Er ist mit der Haltung des Regiments sehr zufrieden.
Die Stadt ist belebt, einzelne Geschäfte haben geöffnet. Sie wimmeln von deutschen Soldaten, denn der Kurs ist 1 Reichsmark gleich 20 Francs.
Viele französische Soldaten laufen oder sitzen herum, niemand kümmert sich um sie. Sie gehen, wenn sie ihr Glas ausgetrunken haben, allein zur Sammelstelle. Ein seltsames Bild! Einige Kilometer hinter Dijon liegt unser Tagesziel Perrigny-les-Dijon. Heute ist der 22. Juni. Gestern wurde der Waffenstillstand in Compiègne unterzeichnet, in Kraft getreten ist er aber noch nicht. Von Kriegszustand kann aber, zumindest hier, keine Rede mehr sein. Wir marschieren seit 06:30 Uhr die Rue nationale entlang.
Rechts erheben sich die Hügel der Cote d’Or. Die Straße durchschneidet die weite Senke direkt in der Mitte. Links und rechts die ausladenden, ebenen und riesigen Weingärten, Fläche an Fläche. Hier wächst der Stolz Frankreichs, der glutrote Burgunderwein. Der Marsch ebbt ab, abends beziehen wir Quartiere im Raum von Beaune. Der 23. Juni, wieder ein Sonntag, führt uns mit einem nicht allzu langen Marsch ans vorläufige Ende. Chagny wird noch passiert, dann zerlegt sich das Regiment im Raume des Dreiecks Chagny – Chalons sur Saône – Le Creusot. Unser Bataillon erhält Chamilly zugewiesen. Es ist ein kleines steinreiches (aber auch nur an Steinen reiches) Burgunderdörfchen mit 180 Einwohnern und einem herben roten Bauernwein. Das satte, fruchtbare Tal haben wir verlassen. Unser Dorf klebt zwischen karstähnlichen Höhen.
Es ist wie immer nach großen Marschleistungen. Man sinkt in die Ruhetage wie in ein Bett, auch wenn kein solches zur Verfügung steht. So wird uns Chamilly in müde-wohliger Erinnerung bleiben. Die freundliche Bevölkerung, die herbe Umgebung mit den vielen Kirschbäumen. Die Nacht des Waffenstillstandes verschlafen wir.
Die ausgeruhten Körper regen den Geist bald zu neuer Tätigkeit an und so wird die Frage ob es bald heimgeht in allen Variationen besprochen. Gerüchte tauchen wieder auf. Nach ein paar Tagen völliger Ausspannung meldet ein ganz kleiner Exerzierdienst zaghaft seine Ansprüche an. Sie werden mit großer Gelassenheit befriedigt. So plätschern die Tage von Chamilly zwischen dem 24. Juni und dem 04. Juli in harmloser Hohlheit dahin. Uns beseelt nur ein Wunsch: Bald, recht bald nach Deutschland zurück!
Benno Tins