Anfang März lag unsere 260. Infanteriedivision im Raum westlich Juchnow in der Ressa–Ugra-Stellung.
Der Abschnitt unserer 3. Kompanie, Infanterieregiment 470 lag am Steilufer zur Ugra. Außer Stoß – und Spähtrupptätigkeiten, Bunkerbau und Posten stehen gab es fast nichts Neues im Osten. Als Bursche des Kompaniechefs, Oberleutnant Raff, war ich zugleich Melder des Kompanietrupps.
An einem Morgen, es war noch fast Nacht, erhielt ich Befehl an den in unserem linken Abschnitt liegenden III. Zug (Feldwebel Lebherz) eine Meldung zu überbringen. Ich machte mich sogleich auf den Weg, schlängelte mich durch das Grabensystem, tauschte mit den auf Posten stehenden Kameraden einige freundlichen Worte und näherte mich bald dem Zuggefechtsstand.
Plötzlich entdeckte ich an der linken Ecke des Zuggefechtsstands einen einzelnen russischen Soldaten, der in Richtung der Ugra, zu den russischen Stellungen hinüber beobachtete. In der rechten Hand hatte er griffbereit seine Pistole.
Schnell duckte ich mich an den Grabenrand, keine Sekunde den Gegner aus den Augen lassend. Ich entsicherte meine MP und schlich mich weiter an den Russen heran. Da ich von Rückwärts kam war ich natürlich im Vorteil. Drei Meter von ihm entfernt rief ich laut „Ruki wjärch“ und gab gleichzeitig einige Schüsse an ihm vorbei in Richtung Ugra ab. Die Überraschung gelang. Bis sich der Russe vor Schreck in meine Richtung gedreht hatte, schlug ich ihm schon mit meinem MP-Lauf so kräftig auf die rechte Hand, dass er seinen griffbereiten Revolver fallen lassen musste. Zur Gegenwehr blieb ihm nur noch die Faust der linken Hand. Dazu kam es aber nicht, denn inzwischen sprangen auch schon Feldwebel Lebherz und ein Melder der mit MP bewaffnet aus dem Bunker.
Die Pistole hob ich auf und steckte sie ein, anschließend brachten wir den Mann zum Gefechtsstand. Unser Chef ließ ihn in den Bunker kommen, und was jetzt geschah löste in uns aller größtes Erstaunen aus.
So zackig und in einer vollkommenen einwandfreien Exaktheit wie er sich vor Oberleutnant Raff aufbaute und ihn grüßte, hatten wir es nur noch von der Rekrutenzeit in Erinnerung. Die Fragen, die unser Chef an ihn richtete, beantwortete er in strammer Haltung und seine Antworten waren in einwandfreier deutscher Sprache zu hören.
Es stellte sich heraus der er Oberleutnant der sowjetischen Luftwaffe war, tagsüber in Moskau Flugschüler ausbildete und dreimal in der Woche nachts mit dem so genannten „Rollbahnotto“ (Doppeldecker vom Typ Polikarpow PO-2) über den deutschen Stellungen seine Bomben abladen musste. Er sei abgeschossen worden und schlage sich schon drei Tage durch die deutschen Stellungen, um wieder zu den eigenen Linien zu gelangen.
Unser Chef ließ ihm Kaffee und Brot geben, wofür er sich höflich bedankte. Im Anschluss daran mussten Melder Warcinski und ich ihm zu Bataillonsgefechtstand bringen. Auf den Weg dorthin erzählte er uns von Moskau und überreichte mir einen runden Taschenspiegel, auf dessen Rückseite ein Bild des Kremls war.
Vor dem Gefechtsstand fragte er uns, was jetzt mit ihm geschehen würde. Wir erklärten ihm dass er jetzt dem Bataillonskommandeur vorgeführt würde, worauf er meinte das ginge unmöglich denn er müsse sich dazu ja vorher rasieren. Mit einem solchen Bart könne er nicht vor einen Kommandeur treten! Inzwischen kam unser Adjutant Oberleutnant Scheidgen, und nahm uns den zackigen Gefangenen ab.
Seine Pistole und den Spiegel trug ich so lange bei mir, bis ich dann selbst das Schicksal hatte, in sowjetische Gefangenschaft zu kommen – aber ohne einen zackigen Gruß anbringen zu können.
K. Breuning