Wir haben einen schweren Einsatz von 8 Tagen hinter uns. Die Division hat im Rücken der russischen Front südlich von Tschernihiw im Sumpfgelände der Desna einen Brückenkopf gebildet.
Die Russen haben unter erbitterten Kämpfen sich bemüht, diesen einzudrücken. Nach dem Misslingen haben die Russen sich nach Süden abgesetzt. Meine Aufgabe war es, mit dem Krankenträgerzug der bespannten Sanitätskompanie auf den verschlungenen Pfaden durch das Sumpfgelände, die nach einem Regen kein motorisiertes Fahrzeug mehr trugen, die vielen Verwundeten zum Hauptverbandsplatz zu bringen.
Seit gestern Nachmittag ist Ruhe, kein MG-Geknatter, keine Granateinschläge, keine Tieffliegerangriffe mehr. Nur ganz aus der Ferne noch Geschützdonner, der uns aber nichts mehr angeht, weil unsere Division am nächsten Tag viele Tagesmärsche nach Norden zur Bereitstellung eines neuen Angriffs auf Moskau marschieren soll.
Herrlich ist es, die ganze Nacht, zwar auf dem harten Bretterfußboden der Schule, aber sonst ungestört in Morpheus Armen zu ruhen, morgens ungestört Kaffee zu trinken und dann irgend etwas zu tun wie Briefe schreiben und sich und die Brocken zu reinigen.
Ich schlendere an dem klaren Septembermorgen durch das ukrainische Dorf und finde hinter einem der kleinen, dunklen Russenhäuser meine langjährige Freundin Olly angebunden, die es in den vergangenen Tagen auch nicht leicht hatte. Olly kannte ich seit dem zweiten Kriegstage. Von ihrem früheren Herrn, einem Bodenseebauern, war sie mir in die Hand gegeben worden mit der Bitte, das Pferd (um ein solches handelte es sich nämlich) gut zu behandeln. Seitdem waren wir beide beieinander.
Olly hatte, genau wie wir, einiges lernen müssen was sie auch Anfangs gar nicht wollte. Sie hatte lernen müssen, dem Willen ihres Reiters zu gehorchen, schwimmen, springen, dauernd wo anders zu sein, kurz ein ganz anderes Leben zu führen, als das bisher gewohnte regelmäßige eines Bauernpferdes.
Sie begrüßte mich etwas misstrauisch und schüttelte den Kopf, als ich sie streicheln will. Da waren auch in den letzten Tagen so merkwürdige Sachen passiert, die sie mit ihrem Pferdeverstand nicht so recht begriff. Sie war zum Beispiel mit ihrem Herrn auf dem Rücken, über eine frisch geschlagene Pontonbrücke geschritten, als dieser absprang und sich neben ihr zur Ruhe legte. Dann hat so ein großer brummender Vogel seine Eier nicht allzu weit weg von ihr fallen lassen, die auch für Pferdeohren ganz scheußlich gekracht haben.
Sie hat ferner gesehen, wie in der bis dahin so leeren Gegenden überall die ihr bekannten Menschentiere aus Erdlöchern hervor kamen, komische Tänze auf einem Bein vollführten, die Arme in die Luft reckten und Laute ausstießen. Nachdem sie den Abstand vom vorherigen Geschehen für groß genug gehalten hat, war sie stehen geblieben, um sich am Gras gütlich zu tun, zumal der Boden um sie herum so sumpfig und schwankend war, wie sie es gar nicht mochte. Ihr Herr war dann ganz normal auf sie zugekommen, ihr ein Stück Brot entgegenhaltend, das er aber zu ihrem Leidwesen zur Hälfte selbst aufgegessen hat.
Noch zweimal hat am gleichen Tag ihr Herr den Entschluss gefasst, sich zur Ruhe zu legen. Olly hat dann aber nicht mehr gewartet, sonder sofort das Weite gesucht. Später hat sie es dann für passend gehalten sofort auszureißen, wenn ihr Herr Anstalten traf, abzusteigen. Dieses hat dann aber wiederum den Reiter erbost, da er diese vorsorgliche Trennung für zu weitgehend gefunden hat.
Auch der nächste Tag hat an Ollys Nerven gezerrt. Man ist gemütlich über eine große Flussniederung getrabt, wobei links hinter einer Hügelkette der Gefechtslärm dröhnte und von rechts die Türme von Tschernigow herüber blickten (auf welchen noch russische Artilleriebeobachter saßen). „S –s- s –i- i- i bumm“ hat es gemacht, 100 Meter hinter ihr war ein großer Trichter, aus dem schwarze Erdbrocken empor wirbelten. Olly war ganz aus sich heraus zum Galopp übergegangen, der sich noch verstärkt hat, als sich wieder ein Krater hinter sich auftat. Drei solche Einschläge haben Olly zu einem solchen Galopp verholfen, das sie auf jedem Pferderennen dem Preis geholt hätte.
Nun dieser Septembermorgen ist friedlich und nachdem Olly durch Schütteln meine Liebkosung zwar abgelehnt hat, lässt sich aber doch herab, mitgebrachtes Brot aus der Hand zu fressen. Die Sattelgurte sind gleich wieder fest angezogen, und dann machen wir beide einen kleinen geruhsamen Morgenbummel. Unser erstes Ziel ist eine Straße: ja, eine richtige, gepflasterte Straße!
Links der Straße befindet sich ein nicht übersehbares, noch nicht gemähtes Haferfeld, an dem wir schon entlang geritten sind, und in welches nun einige Spuren hineinführen. Da ich das andere Ende des riesigen Feldes einmal sehen will, reite ich den Spuren nach. Der Himmel hat sich inzwischen von Westen her bezogen. Wie eine Insel liegt inmitten des Haferfeldes eine grüne Mulde, von einigen Birkenbüschen bestanden. Einen gefallenen Russen sehe ich, wobei Olly, wie um jeden Toten, scheu einen großen Bogen macht, während es stark zum Regnen anfängt.
Ich sehe unter einen Busch noch einen zweiten Russen liegen, bedeckt von einer neuen Zeltbahn. Die russischen Zeltbahnen sind gut und von uns begehrt. Da ich nur eine dünne Leinenfeldbluse trage, will ich mir die Zeltbahn holen. Ich steige ab, halte Olly fest mit der rechten am Zügel und will bückend mit der Linken die Zeltbahn an mich nehmen, als ich einen Gegenzug verspüre und das verschlafene, erschrockene Gesicht des Iwan sehe. Wie mein eigenes Gesicht aussah, weiß ich nicht glaube aber, dem des Russen nicht sehr unähnlich. Doch es ist nicht mein erstes Zusammentreffen mit versprengten Russen.
Eine Zigarette schnell aus der Tasche geholt, dem Iwan gegeben, und dann traben Olly, der Iwan und ich gemeinsam durchs große Haferfeld den Heimweg ins Dorf an. Der Russe wird bei unserer Feldküche abgegeben, wo er schon Kameraden vorfindet, die teils schon längere Zeit als Kartoffelschäler, Wasser- und Holzholer und als Krankenträger sich bei uns nützlich machen.
Nach einer Verwundung zur Neuaufstellung eines Kriegslazaretts versetzt, leite ich auf dem Bahnhof Shlobin in Weißrussland vorübergehend den Abtransport von Verwundeten aus dem Lazarettzug Mosel in unser dortiges Lazarett.
Auf dem Nebengleis rollte ein Urlauberzug ein, aus dem ich angerufen wurde. Es waren zwei Fahrer meiner ehemaligen Kompanie. In deutscher Uniform als Hiwi doch mein ehemaliger Gefangener, den die Bodenseebauern in ihren Urlaub mitnehmen wollten. Olly, mein treuer Gaul, sei nicht mehr bei der Kompanie. Ein neuer Kompaniechef hätte sein bisheriges Reitpferd mitgebracht und Olly sei gegen dieses Reitpferd eingetauscht worden.
Viele Jahre später hatte ich einen Traum: Im Pferdestall unseres alten Hauses in Ottweiler hatte ich Olly ganz vergessen. Ich ging hin und fand sie fast verhungert mit struppigem Fell. Drüben, jenseits der Blies, war eine Wiese mit grünem, saftig Gras. Dort führte ich Olly hin und sah zu, wie sie weidete. Man konnte bemerken, wie ihre Kräfte zunahmen und ihr Fell wie in früher wieder rotbraun und glänzend wurde. Ich saß wieder auf ihren Rücken und spürte beglückt ihren wundervollen weichen Gang, mit dem sie mich tausende von Kilometern am Oberrhein, durch Frankreich, durch Russland und zuletzt verwundetet zum Hauptverbandplatz getragen hatte. Olly, mein treuer Gaul.
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