Nach der Einnahme von Kaluga im Oktober 1941 versank die weitere Offensive zunächst in abgrundtiefem Schlamm.
Unter größten Anstrengungen, allmählich etwas erleichtert durch zeitweiligen Frost, quälten sich die Angriffskolonnen weiter in Richtung Alexin und Serpuchow.
Westlich dieser Linie, etwa 70 Kilometer vor Moskau, stießen die deutschen Verbände auf sich versteifenden Widerstand der Sowjets und wurden zum Stellungskampf gezwungen.
Etwa 14 Tage wurde diese Stellung gehalten, dann begannen die Russen mit frischen Truppen aus Sibirien ihre Angriffe. Es waren ausgeruhte, die große Kälte gewohnte Einheiten. Mit Unterstützung von T34 Panzern drängten sie unsere Infanteristen aus ihren Stellungen. Und nahmen nach tagelangen Kämpfen Ortschaft um Ortschaft. Das II. Bataillon / Infanterieregiment 460 unter Major Müller leistete härtesten Widerstand. Mit 180 Mann drang das Bataillon in ein von etwa 600 Russen besetztes Dorf und nahm im Nahkampf ein Haus nach dem anderen.
Inzwischen war auch Kaluga, wohin die Regimentstrosse zurück verlegt werden sollten, nach kurzem Kampf wieder in den Besitz der Russen übergegangen.
Zusammen mit einer anderen Division befanden wir uns in einem Sack. Nur eine einzige Rollbahn (Serpuchow – Medyn – Juchnow) war unsere Nachschublinie. Sie musste rechts und links, 500 Meter vorgeschoben, von Infanterie verteidigt werden. Kurz vor Weihnachten begann es richtig zu schneiden, der Schnee lag schnell 50 cm hoch. Auf ungebahnten Wegen begannen am 18. Dezember die Trosse sich von Radenki aus Richtung Kaluga zurückzuziehen.
Die ganze Gegend war eigentlich mehr ein Hochland durchzogen von vielen Flüssen, die tiefe und breite Täler bildeten. Radenki lag nun auf dieser Hochebene.
Über dieses Auf und Ab zogen die Kolonnen nun Tag und Nacht dahin. Bei Wysokinitschi erreichten wir das Tal der Protwa und überquerten diesen Fluss am Nachmittag des Weihnachtsabends 1941.
Einen Kilometer hinter Wysokinitschi stießen wir auf die Rollbahn von Serpuchow nach Kaluga, marschierten darauf etwa 15 Kilometer weiter und bogen am Abend südlich ab in ein Dorf.
Weihnachtsbäume wurden bereits unterwegs an den Waldrändern mitgenommen. Nun sollten sie geschmückt werden. Plötzlich rief der Melder des Regiments-Troßführers unseren Spieß ab. Bald kam dieser wieder mit dem Abmarschbefehl zurück. Es sollte in der Nacht fast die gesamte Strecke wieder zurückgelegt werden, die wir am Tage hierher gezogen waren. Das war unser Weihnachtsfest.
Bei unserem Kompanie-Tross waren auch noch jene Kameraden der Kampfeinheiten die krank oder leicht verwundet waren, aber auch Erfrierungen hatten, außerdem jene deren Geschütz nicht mehr einsatzfähig oder ausgefallen war. So führten wir beim Tross zwei leichte und ein schweres Infanteriegeschütz mit.
Am Morgen des 25. Dezember wurde das Tagesziel erreicht. Das schwere Geschütz blieb in einer Schlucht vor dem Dorf stecken und sollte – sobald sich die Pferde ausgeruht hatten – nachgezogen werden. Doch der Anstieg zur jenseitigen Höhe und auch zum Dorf war zu steil und lang, als dass die Pferde, die schon auf den schweren und langen Märschen erheblich gelitten hatten, es noch geschafft hätten. Das Geschütz musste in der Schlucht gesprengt werden.
Inzwischen war der Tross, früher 30 Mann stark, auf über 70 Mann angewachsen. Am Abend des 29. Dezember zogen endlich die Trosse des Regimentes aus dem Kessel, am nächsten Tage folgten die noch kämpfenden Teile. Auf diesen schweren Märschen hatten wir in der gesamten Kompanie nur ein einziges Fahrzeug, den Futterwagen (Beutestück aus Frankreich) durch Achsbruch eingebüßt. Bei Rasten oder Nachtunterkünften in einem Dorf drängten sich die Kameraden in die Russenhäuser wie die Heringe um Schutz vor der Kälte zu finden. Am 30. Dezember mussten 25 Mann vom Tross zur Infanterie abgestellt werden, von wo sie erst Ende Februar wieder zurückkehrten. Es war allerdings kaum mehr als die Hälfte, die anderen waren gefallen oder ins Lazarett gekommen.
Die Verpflegungsstärke war inzwischen auf ein Drittel oder Viertel zurückgesetzt worden. Nur bei unserem Tross gab es Dank dem Spieß noch keine Kürzungen. Auf dem Weitermarsch konnte die Verpflegung für 800 Mann bei einer Nachbardivision aufgefrischt werden.
Auf der Rollbahn Medyn – Juchnow zogen wir weiter nach Westen, rückten nachts ohne Rast durch Juchnow und marschierten über eine lange, hohe Holzbrücke über die Ugra. In den Häusern am anderen Ufer wurde die Nacht im Stehen verbracht.
Von dieser Hauptstraße nach Roslawl zweigte kurz hinter der Brücke die Rollbahn nach Wjasma ab. Auf der zogen wir eine kurze Strecke weiter und gelangten vier Kilometer seitlich in das Dorf Kostenki. Der Ort war in etwa 100 Metern Abstand von Wald umgeben. Am zweiten Tag wurden wir von einer Waldecke von Partisanen mit Gewehren und Maschinengewehren beschossen. Daraufhin wurden drei Spähtrupps eingesetzt, zwei davon zu Pferd, die diesen Wald von beiden Seiten abstreifen sollten. Der dritte Spähtrupp ging zu Fuß.
Wir drangen durch den Schnee in den Wald ein. Ohne dass etwas Verdächtiges bemerkt wurde streiften wir durch das Unterholz bis plötzlich hinter einer Tanne hervor Schüsse aus allernächster Nähe fielen, die den Leutnant der 4. Kompanie und den Hauptfeldwebel der Stabskompanie trafen. Der Offizier war sofort tot, der Spieß schwer verwundet. Auch der russische Schütze büßte sein Leben ein.
Der Hauptfeldwebel wurde sofort zurück geschafft ins Dorf und mit einem Schlitten zu einer im übernächsten Dorf liegenden Sanitätsstaffel geschafft, wo er – ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben – starb.
Der Tross des III. Bataillons war in einem einige Kilometer entfernten Nachbardorf Trofimowo untergebracht. Nach diesem Vorfall blieben nun die Trosse zur Sicherung des rückwärtigen Divisionsabschnittes im ganzen Gebiet liegen.
Paul Hug, ehemals 13. / Infanterieregiment 470