Vor dem Abmarsch nach Russland lag die 260. Infanteriedivision ab Mitte September 1940 bis zum Sommer 1941 an der französischen Demarkationslinie, der Stab im „Schneider-Schloss“ in Le Creusot, in welchem Raum auch die Panzerjägerabteilung 260 ihr Standquartier hatte.
Deren 2. Kompanie war in einem Barackenlager der Schneider-Werke untergebracht. Es diente im Frieden zur Unterbringung von Arbeitern aus den nordafrikanischen Kolonien, wenn in der Waffenschmiede Frankreichs einmal gestreikt wurde.
Allgemein war es zu jener Zeit „üblich“ dass die Kompanien in eigener Machtvollkommenheit ihre Verpflegung gegen Bezahlung aus Beständen des Landes ergänzen. Eine schwarze Kasse war zu diesem Zweck vorhanden. Das ging solange gut, bis ein Befehl von Generaloberst Blaskowitz, dem Oberbefehlshaber der 1. Armee, diese Einkäufe auf privater Basis strikt verbot. Die Einheiten hatten mit der gefassten Verpflegung auszukommen und dem Einheitsführer wurde bei Nichtbeachtung des Befehls ein Verfahren wegen Ungehorsams angedroht.
Eines Abends unternahm ich noch einen Rundgang durch das Kompanierevier und damit auch zur Küche. Alles war verschwunden, nur ein gut gemästetes Kalb stand angebunden dort. Sofort rief ich Hauptfeldwebel Gritjan und Küchenunteroffizier Recher. Sie erklärten, dass dieses Kalb vom Kompaniefeldwebel bei einem Bauern gekauft wurde, mit dem auch sonst gute Geschäfte abgeschlossen worden sind. Das Tier sollte bei einem Kompanieabend verspeist werden.
Inzwischen kam auch Oberfeldwebel Meh, der Kompanietruppführer, hinzu und war entsetzt über meinen Befehl, das Kalb zurückzubringen und sich das Geld auszahlen zu lassen. Er holte meinen Stellvertreter, Leutnant Schuster, der in der ihm eigenen Art frei heraus erklärte, das der Befehl unmöglich ausgeführt werden könne, weil sich die ganze Kompanie auf den Abend mit Bier und Wein und einem zusätzlichen Stück Fleisch freuen würde. Unsere Soldaten hatten in Frankreich nur wenig Abwechslung, denn sie verfügten über geringe Geldmittel.
Schuster und die anderen Leutnants sowie die Feldwebel erreichten, dass das Tier blieb und bald geschlachtet wurde. Der Kompanieabend ging mit viel Tamtam über die Bühne. nach Absprache mit unserem Abteilungskommandeur, Hauptmann Pfeiffer, wurden auch die Herren des Divisionsstabes eingeladen, die natürlich gerne kamen. Darunter war auch Kriegsgerichtsrat Geyer.
Nachdem unser Fest längst wieder dem Alltag Platz gemacht hatte, kam eines Tages eine Meldung der Feldkommandantur über den Dienstweg auf meinen Tisch. Darin stand klipp und klar, dass die Feldwebel der 2. Panzerjägerkompanie ein Kalb entgegen dem Armeebefehl gekauft haben. Der Einheitsführer wurde um Stellungnahme ersucht. Unser Kommandeur, der ebenfalls mit Adjutant und Abteilungsarzt an dem Kompanieabend teilgenommen hatte, meinte nun ich müsste zusehen, wie ich damit fertig würde.
Sinngemäß antwortete ich auf dem Dienstweg an die Division: Es träfe zu, dass Feldwebel der Kompanie ein Kalb gekauft hätten. Das Fleisch sei zur Ergänzung der Rationen verwendet worden. Sehr bald kam ein Schriftstück mit der persönlichen Bemerkung unseres Generals Schmidt zurück, wonach die täglichen Kalorien der Truppe weit über denen der Bevölkerung lägen, meine Meldung hätte den Eindruck der Anmaßung erweckt. Meine Stellungnahme war mit der Beteuerung verbunden, dass theoretisch die Kalorienmenge wohl stimmen möge, die Wirklichkeit aber anders aussehen würde. Die Kompanie bestehe zum überwiegenden Teil aus jungen Menschen, deren Wachstum noch nicht abgeschlossen sei und für die eine Verpflegungsergänzung bei der harten Ausbildung unerlässlich sei.
Daraufhin ordnete der General die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen mich an und beauftragte Kriegsgerichtsrat Geyer mit der Untersuchung. Dieser hatte aber gar keine Eile damit, zumal er selbst durch die Teilnahme an unserem Abend mehr oder weniger befangen war. Alle diesbezüglichen Schriftstücke landeten also bei ihm „zuunterst“. Schließlich begann der Transport nach Russland und dort hatte man wichtigere Probleme zu lösen. Als ich mich später im Zusammenhang mit einem Einsatz bei General Schmidt melden musste, hieß es sofort: „Sind sie nicht der Chef der Kälberfresserkompanie?“ Später war ich dann am Oberrhein unter dem Kommando des Generals. Der hatte jene Episode aus Frankreich immer noch nicht vergessen und redete mich wieder entsprechen an. Daraufhin baute ich mein „Männchen“ und freute mich über unseren betagten „Papa“ Schmidt von Herzen.
Karl-Eugen Schlotterbeck, Führer der 2. / Panzerjägerkompanie 260