Am 02. Oktober 1941 durchbrach das Infanterieregiment 470 im Rahmen der 260. Infanteriedivision die Stalin-Linie bei Star. Chotmirowo an der oberen Desna und bildete hier in der Nach vom 02. auf den 03. Oktober einen Brückenkopf.
Während der 1. Desna-Übergang ostwärts Tschernigow vom 05. und 06. September verhältnismäßig einfach war, das Halten des Brückenkopfes jedoch später hohe Verluste forderte, war es beim 2. Übergang über den Fluss gerade umgekehrt. Nachdem der aus 4 Kilometer Entfernung vorgetragene Angriff nach mehrstündigen harten Kämpfen am andern Ufer Fuß gefasst hatte, war der Widerstand gebrochen und es ging weiter in Richtung Moskau.
Da es auf dem Vormarsch tagelang keine Gefechte gab fuhren der Regimentskommandeur und sein Adjutant eines Tages im Pkw voraus ins „Niemandsland“ um festzustellen, ob der für die Unterkunft des Regimentes zugewiesene Raum ausreichte oder die Ortschaften abgebrannt waren. Auf dieser Erkundungsfahrt kamen sie an ein weißrussisches Dorf in dem die Einwohner sich neugierig um das Fahrzeug versammelten. Als der Regimentsadjutant ein in der Nähe des Wagens stehendes Mädchen nach ein paar Eiern fragte, war ein stummes Kopfschütteln die Antwort. Immer mehr Neugierige kamen aus den Häusern, unter ihnen ein altes Mütterchen mit einem 8 Pfund schweren Laib Brot, auf dem Salz und ein Kreuz lag. Ohne lange über den symbolischen Sinn dieser biblischen Handlung nachzudenken hob der Adjutant das Kreuz empor und gab es der freundlich lächelnden Frau zurück.
Ihr Gesicht strahlte und sie zeigte uns voller Stolz, dass sie auch ein kleines Kreuz an einer Kette unter einem Halstuch versteckt trug. Daraufhin zeigten uns fast alle Frauen und Mädchen ihr Kreuz, dass sie heimlich unter ihrer Kleidung versteckt, trugen. Sogar die kleinen Kinder und Babys hatten solche Kreuzchen. Dieser seltene, biblische Willkommensgruß zeigte uns, dass die Religion trotz 24-jähriger bolschewistischer Herrschaft noch immer tief verwurzelt in diesen Menschen lebte.
Wenige Minuten später hatten wir 2 Stahlhelme voll frischer Eier und als am Abend der Divisionsstab, der Regimentsstab und das I. Bataillon des Regimentes hier Ortsunterkunft bezog bekam fast jeder Soldat 3 Spiegeleier mit Speck serviert.
Wenige Tage später stieß die vor uns marschierende 17. Infanteriedivision beim Versuch die Ugra zu überqueren auf starken Widerstand. Da der Widerstand sich versteifte und die 17. Infanteriedivision trotz mehrfacher Angriffe beiderseits Anninskaja liegen blieb, gab General Schmidt dem Regimentsadjutanten, den er gerade bei einer Erkundung auf dem Flugplatz nördlich von Worotynsk traf, folgenden Befehl:
„Feind bei Schanzarbeiten ostwärts der Oka im Raum Stolpowo – Gorodok. Westlich Kaluga verhindert der Feind durch starkes, beobachtetes Feuer weiteres Vorgehen der 17. Infanteriedivision.
Infanterieregiment 470 überschreitet die Oka mit behelfsmäßigen Mitteln und setzt sich in Besitz der Oka-Brücke südlich Kaluga um die 17. ID bei der Einnahme von Kaluga zu entlasten.
Die Schlauchboote und der Regimentspionierzug werden dem Regiment wieder zugeführt.“
Dieser Befehl war nicht leicht auszuführen, aber seine Ausführung brachte tatsächlich die gewünschte Entlastung. Der Divisionskommandeur hatte sich persönlich von der Feindlage ostwärts der Oka überzeugt und glaubte, dass hier das Überraschungsmoment zum Erfolg führen würde.
Es war der 12. Oktober 1941 etwa gegen 11:00 Uhr vormittags als dieser Befehl erteilt wurde. Die größte Schwierigkeit bestand zunächst darin, dass keine Schlauchboote zur Verfügung standen. Der Regimentspionierzug war dem Pionierbataillon der Division unterstellt worden, um den Ugra-Übergang der 17. Infanteriedivision zu beschleunigen. Im Laufe des Tages sollten die Schlauchboote dem Regiment zwar wieder zugeführt werden, aber wann? Die Oka war doch mindestens 60 Meter breit.
Das II. Bataillon, das im Raum Worotynsk Unterkunft beziehen sollte wurde aus dem Marsch heraus in Richtung Stolpowo abgedreht und erhielt den Auftrag, Übergangsmöglichkeiten über die Oka zu erkunden. Bereits zwei Stunden später meldete das Bataillon, dass es ihm durch kühnes Zupacken gelungen ist, die Floßfähre südlich Stolpowo trotz des feindlichen MG-Feuers instand zu setzen und an das Westufer zu fahren.
Mit Hilfe dieser Fähre setzten nun zunächst das II. Bataillon, dann das I. Bataillon und am späten Nachmittag auch das III. Bataillon ohne die 10. Kompanie über die Oka um auftragsgemäß die Brücke südlich Kaluga in Besitz zu nehmen. Die 10. Kompanie unter Führung von Hauptmann Schmidt hatte den Auftrag den Feind am ostwärtigen Ufer der Oka niederzuhalten und den Übergang zu sichern. Im Schutze der Abenddämmerung sollte die Kompanie mit Schlauchbooten übersetzen, das Ostufer vom Feind säubern und zur Brücke südlich Kaluga nachfolgen.
Ohne Schlauchboote und ohne Verluste war also der erste Oka-Übergang geglückt. Wird der zweite auch gelingen? Mit den Kompanien des II. Bataillons setzten auch der Regimentsführer und sein Adjutant mit Meldereitern über, um Annäherungsmöglichkeiten an die Brücke südlich Kaluga zu erkunden. Unter Ausnutzung der zahlreichen steilen Schluchten gelang es ihnen, sich bis auf 50 Meter der Oka-Brücke zu nähern. Hier aber bot sich folgendes Bild: der eiserne Teil der Ponton-Brücke war ausgefahren bis zum Nordufer der Oka. Teile der Brücke waren verbrannt, schwarz verkohlt, Pfosten schauten aus dem Wasser heraus. Etwa 2 Kilometer ostwärts der zerstörten Brücke fuhren Russen auf das Südufer der Oka zu. Da während dieser Erkundung zu Fuß der Feind mit Maschinengewehren und Granatwerfern schoss und ein frontales Übersetzen hier keine Aussicht auf Erfolg hatte, entschloss der Regimentskommandeur etwa 2 Kilometer weiter ostwärts in der Gegend von Pogrof überzusetzen, um die Kähne der Russen als Übergangsmittel auszunutzen.
Major Baur und sein Adjutant liefen zu ihren Pferden in die Schlucht, galoppierten zur Truppe zurück um die Bataillone hinter der Höhe nach Pogrof zu führen. Die Befehlsausgabe an das II. Bataillon erfolgte durch Major Baur persönlich, an das I. und III. Bataillon durch Major Schütz, den Adjutanten. Das III. Bataillon erhielt den Auftrag den Feind am Südrand von Kaluga durch schwere Waffen niederzuhalten. Der Regimentsgefechtsstand war in der Nähe der Kirche von Pogrof.
So gelang es gerade noch rechtzeitig die beiden vorderen Bataillone, die in kleinen Kampfgruppen – entsprechende der Tragfähigkeit der Floßfähre Roshestweno – vor marschierten in Richtung Pogrof abzudrehen. Von hier aus fiel das Gelände steil zur Oka ab. Als der Adjutant auf dem neuen Regimentsgefechtsstand eintraf, der zunächst nur aus dem Pferdehalter und 2 Pferden bestand, hatte Major Baur bereits den ersten Kahn in einem Bauernhaus ausfindig gemacht. Mit Hilfe dieses Kahns setzten die inzwischen eingetroffenen Teile des II. Bataillons und Hauptmann Gebhardt über die Oka.
Die beiden ersten Kahnbesatzungen unter Führung des Regimentsadjutanten rollten das Nordufer der Oka auf, vertrieben die letzten feindlichen MG-Schützen, die noch auf Teile des Regiments schossen, aus ihren flüchtig ausgebauten Stellungen und näherten sich im Schutze der Dunkelheit der Oka-Brücke. Hier wurde der inzwischen auf 30 Mann angewachsene Stoßtrupp von Handgranaten empfangen. In der Nähe der Brücke aber waren deutlich deutsche Kommandos zu hören. Durch Zuruf konnte eine Verständigung erreicht werden und die Kameraden der 7. Kompanie des Infanterieregiments 21 (17. Infanteriedivision) und Teile des II. Bataillons des Infanterieregiments 470 reichten sich bei der Oka-Brücke südlich Kaluga die Hände.
Inzwischen war es 20:00 Uhr geworden. Der Regimentsadjutant besann sich wieder auf den Divisionsbefehl, die Brücke zu nehmen. Bei der Untersuchung der Brücke fand er einen 10 Meter langen Kahn mit einem Ruder. Mit Hilfe eines Soldaten setzte er auf das Südufer über. Das treibende Mittelstück der Brücke, das die Russen anscheinend in letzter Minute losgebunden hatten, konnten sie am Südufer verankern und den Kahn an Hauptmann Schmidt übergeben, der gerade mit seiner Kompanie auftragsgemäß an der Brücke ankam. Durch die Sicherstellung des Mittelteils gelang es den Pionieren die zerstörte Pontonbrücke so wiederherzustellen, dass sie bereits am 13. Oktober nachmittags für die schweren Waffen des Regimentes freigegeben werden konnte.
Um 21:00 Uhr meldete der Regimentsadjutant, im Norden von Kaluga wurde in der Gegend des Bahnhofs am Morgen des 13. Oktober noch hart gekämpft, während bereits beide Divisionsstäbe in die Stadt einrückten.
In den Nachmittagsstunden erhielt das Regiment den Befehl weiter in Richtung Moskau vorzustoßen. Das schöne Herbstwetter war jedoch vorüber, die Regenperiode begann und der weitere Vormarsch blieb eine Zeitlang buchstäblich in 50 cm tiefem Schlamm stecken.
Dr. Gebhardt