Unsere „Schlusslicht-Division“ (wie wir uns sehr zum Ärger unseres Divisionskommandeurs, Generalleutnant Schmidt, in edler Bescheidenheit selber tauften) schon sich langsam an die Aisne heran.Wir erst später feststellten, sollten wir noch nicht benötigt werden. Im Raum Rethel mussten wir uns zum Angriff gegen das letzte Bollwerk des Gegners, die Weygand-Linie, bereitstellen. Zunächst aber quälten sich die Kolonnen der Division in Raten auf der Vormarschstraße voran.
So anstrengend dieses Getrippel für uns Infanteristen war, so langweilig war diese Art Kriegsgeschehen für unsere Kameraden von den motorisierten Verbänden wie z.B. unsere Panzerjäger-Abteilung. Das jeweilige Tagesziel der Division wäre für einen motorisierten Verband mühelos in zwei bis drei Stunden zu erreichen gewesen.
Dem war jedoch keineswegs so: dank der Weisheit aller höchster Schicksalsgewalten war für langanhaltenden Verkehrsstaus reichlich gesorgt. Damals schimpften wir wie die Rohrspatzen, heute wissen wir, welche Nebenziele mit diesem entnervenden Zuckelbetrieb verfolgt wurden: Nur so gelang es den charakterlich verdorbenen Kraftfahrern das Schalten, Anfahren, plötzliches Halten usw. beizubringen. Das geschah derart zwanglos und naturnah, wie es in keiner Fahrschule jemals möglich gewesen wäre. Außerdem wurde auf diese geschickte Art und Weise etwas für die Bildung der Landser aller Dienstgrade getan. Hatten wir doch nun Zeit und Gelegenheit in Hülle und Fülle an Hand der vielen Wegweiser unsere französischen Sprachkenntnisse enorm zu vertiefen. Noch wichtiger war jedoch die Chance, Land und Leute „en passant“ zu studieren.
Allerdings war dieses Vorhaben durch besagte „Leute“ etwas sabotiert worden Die glänzten nämlich durch Abwesenheit. Damit es nicht völlig an Lebewesen mangelte hatte die geflüchtete Bevölkerung fast das gesamte Vieh zurückgelassen. Erfreulich, dass in der deutschen Wehrmacht so mancher Krieger die Kunst beherrschte, Kühen die lauwarme Milch zu entlocken oder munter herum hüpfende Stallhasen und Hühnchen in schmackhafte Braten zu verwandeln. So lebten wir praktisch in einer immer währenden Milchbar mit gegrillten Hähnchen. Das war die angenehme Seite unseres Daseins.
Manchmal glückte es dann wider Erwarten und trotz des Einsatzes zahlreicher Verkehrs-Regelungs-Kommandos unser Marschziel fast in einem Zuge zu erreichen. Natürlich war das auch wieder nicht recht. Oft war die alte „Quartierbesatzung“ noch in „denselben oder es hatte sich andere „Kundschaft“ eingeschlichen.
Bei einer solchen Gelegenheit nutzte der Kommandeur die unfreiwillige Muße der diplomatischen Verhandlungen des Quartiermachers dazu, an der Kreuzung mitten im Unterkunftsnest den vorbei preschenden Verkehr zu beobachten.
Er hatte Glück: senkrecht zur eigenen Vormarschstraße verlief die Nachschubstraße für gleich zwei Panzergruppen. Die Fahrzeuge hatten alle entweder ein großes, weißes „G“ (Panzergruppe Guderian) oder ein ebensolches „K“ (Panzergruppe Kleist) auf die Bordwände gemalt.
Diese Art der Kennzeichnung imponierte allerdings noch ganz und gar nicht. Aufregender war da schon eher die abenteuerliche Aufmachung der Besatzungen die raffinierterweise ihre bunten Halstücher in knalligen Farben im Kontrast zur jeweiligen Waffen- oder Kompaniefarbe abgestimmt zu haben schienen. Welch massiver Verstoß gegen jegliche preußische Kleiderordnung! Es kam aber noch besser, denn es rollten auch komplette Einheiten der verschiedenen Panzerdivisionen vorbei. Deren Kennzeichnung ging vom griechischen „R“ auf rosa Grund (Rommels 7. Panzerdivision) über alle möglichen Abzeichen bis hin zu stilisierten oder verballhornten taktischen Zeichen.
Das war endlich was für uns! Wie armselig und unterentwickelt, ja geradezu nackt wirkten doch die Fahrzeuge unserer 260. Infanteriedivision, die gerade einmal ein taktisches Zeichen mit dünnen Strichen aufweisen konnten. Damit konnte ja der Charakter einer „Schlusslicht-Division“ auch bei finsterer Nacht nicht mehr verleugnet werden. Das musste schleunigst geändert werden.
Am folgenden Morgen schon prangten an den Fahrzeugen die künstlerisch wertvollsten Abzeichen! Entsprechend der landsmannschaftlichen Mischung zeigte die württembergische Kompanie die 3 Geweihstangen, die badische Kompanie den Greifen und die fränkische Kompanie den bayrischen Löwen – alle Wappen jeweils in einem Wappenschild. Als treuer Sohn seiner Heimatstadt hatte der Kommandeur der Stabskompanie samt Tross das Recht zur Führung des Hamburger Wappens verliehen.
Alles war zufrieden und stolz auf die heraldische Leistung – für knapp 48 Stunden, denn dann hatte der Divisionskommandeur diese „supranationale“ Einheit an sich vorüber rollen sehen.
Das bedeutete das Ende dieser sowohl gelungenen fahrbaren Wappensammlung. In einer ungnädigen Tonart wurde die Grundsatzfrage der Wappen zwar nicht strikt abgelehnt, jedes Vorprellen jedoch unmissverständlich abgelehnt. Lag es an einer Aversion gegenüber dem Südwesten oder an der Furcht vor einer Unterwanderung durch Hamburg, jedenfalls wurden unter Seufzen und Murren die „herrlichen“ Abzeichen übermalt.
Drei Tage später leuchtete jedoch wieder die Sonne: laut Divisionsbefehl musst mit sofortiger Wirkung jedes Fahrzeug der Division eine Geweihstange, das „Hörnle“ als Abzeichen führen. Dabei blieb es auch, bis zum letzten Tage des Kampfes in Frankreich.
Das Abzeichen wurde zu einem Zeichen der festen Kameradschaft der Soldaten der 260. Infanteriedivision – auch in den schwersten Tagen!