Sommerliches Wetter herrschte, als wir Ende Juni 1941, von Frankreich kommend, durch unsere herrliche deutsche Heimat in Richtung Osten fuhren.
Der Transportzug brachte uns über Oder und Weichsel, vorbei an Warschau in die Gegend von Siedlce, unserem Ausladeraum. Dieses Ziel erreichten wir in der Zeit zwischen dem 30.Juni und 03. Juli 1941.
Nun hieß es marschieren, marschieren! Die Kolonnen unserer württembergischen Hörnle-Division legten Tagesmärsche von 50 – 70 Kilometer zurück. Der Marsch ging vorbei an Brest-Litowsk über Baranowitschi bis südlich Sluzk weiter in Richtung Beresina. Heiß brannte die Julisonne auf die östliche Landschaft. Braun gebrannt und frohen Mutes stiefelten wir über die sandige Erde Russlands.
Mitte Juli hatten wir nach einem Marsch von etwa 300 Kilometern den Raum südwestlich Bobruisk erreicht. Eine eigenartige Romantik lag in den hellen Sommernächten über der Natur. Wenn wir nachts auf Posten standen, flackerte am östlichen Horizont der Feuerschein der Front unruhig hin und her. Die Unruhe in uns stieg von Tag zu Tag denn die schaurige Dissonanz der Front kam beständig näher und näher. Noch kannten wir sie nicht, aber wir sollten die Kämpfe bald selbst erfahren und zu spüren bekommen.
Das Kalenderblatt zeigte den 19. Juli 1941. An diesem Abend erreichten wir ein großes Waldstück an der Straße Glusk – Romanischtsche und dort weiter nach Paritschi an der Beresina. Dort kämpfte die 2. Armee der Heeresgruppe Mitte. Wir sollten in den Verband des XLIII. Armeekorps unter General der Infanterie Heinrici aufgenommen werden.
In diesem Waldstück lagen schon Teile der 131. oder 134. Infanteriedivision. Am nächsten Tag, an einem Sonntag, sollte der erste Einsatz erfolgen. Schauerliche Märchen erzählten die Kameraden der dort liegenden Division und Neuankömmlingen. Unser Zugführer, Leutnant Raff, versammelte seine Männer an diesem Abend um uns letzte Anweisungen zu geben. Die Worte die er an uns richtete wirkten überaus beruhigend. Mit einem Gefühl von seltsamer Spannung lagen wir in dieser Nacht wach in unseren Zelten. Hin und wieder drang das dumpfe, dröhnende Grollen der Artillerie von der Front an unser Ohr. Das Surren einiger Flugzeuge durchbrach die Stille der Nacht.
Der fahle Lichtschein des anbrechenden 20. Juli drang langsam in unser Zeltlager. Am östlichen Horizont steigt der glutrote Ball der aufgehenden Sonne herauf. Der Befehl zum Wecken und Kaffeefassen wurde gegeben. Das Zeltlager erwachte und ein emsiges Treiben begann.
Anschließend wurde das Verladen der Tornister befohlen, Sturmgepäcke fertigmachen, Waffen und Gerät freimachen! So verging der Vormittag. Das Essen wurde unter persönlicher Aufsicht unseres Kompaniefeldwebels, Hauptfeldwebel Faiß, von der Kompanieküche frühzeitig ausgegeben. Er sorgt immer vorbildlich für seine Männer, wie sich auch in den nächsten Wochen zeigen sollte. Kurz vor Mittag kam der Befehl: „3.Kompanie fertigmachen!“ Jeder von uns griff sich sein Fahrrad, denn wir waren damals die Radfahrkompanie beim Infanterieregiment 470 (bis zum 19.Oktober 1941). Mit Zugabständen fuhren wir ab, um in den Bereitstellungsraum für den Angriff zu kommen.
Die ersten 500 Meter des sandigen Weges lagen schon hinter uns. Da, ein komisches Heran heulen, ein Rauschen und Gurgeln, das auf uns zukommt! Wums und Krach, schon hatte es hinter uns eingeschlagen! Auch Ratsch-Bumm-Geschosse schlugen keine 20 Meter auf der gegenüberliegenden Wegseite ein – und siehe da –, wie auf Befehl lag die ganze Kompanie in dem kleinen Graben, der sich rechts des Sandwegs entlang zog. Dieses volle Deckung nehmen hatte ja gut geklappt! Wenn alles so prompt ausgeführt wird wie dieser Sprung in den Graben, dann kann eigentlich nichts schief gehen.
„Kompanie Marsch!“ wurde befohlen. Zaghaft griffen wir nach unseren Rädern, saßen auf und weiter ging der Marsch. Dies war also der erste Feindesgruß für uns!
Nach etwa einem Kilometer erreichten wir den nahe liegenden Waldrand. Die Fahrräder wurden getarnt abgestellt, eine Fahrradwache eingeteilt. Der Ernst des Krieges begann. „Zug Raff (I. Zug) in Schützenreihe, von Mann zu Mann 10 Schritt Abstand, 1. Gruppe rechts, 2. Gruppe links, 3. Gruppe rückwärts gestaffelt – Marsch!“ So drängten wir durch den Wald. Einzelne Granaten der russischen Artillerie lagen nun in unserem Raum, zum Glück gab es keine Verwundeten. Bei jedem Einschlag lag die Kompanie sofort flach. Vor allem das Surren der Baumkrepierer verursachte ein mulmiges Gefühl.
Nach weiterem Vorgehen hatten wir den südlichen Waldrand erreicht. Der vor uns vorbeiführende Weg ging durch die Mitte des etwa 400 Meter westlich liegenden Dorfes Buda.
Wir vom I. Zug traten nun an, um das Dorf zu besetzen. Anfangs ging alles gut, wie bei einer Kompanieübung bei Schloss Blanzy in Frankreich. Die ersten Panjehütten waren schnell ohne jeglichen Widerstand erreicht. Plötzlich bemerkten die russischen Truppen unser Eindringen in das Dorf. Schlagartig ging der Zauber los. Höllisches Gewehrfeuer empfing uns. Von Süden her wurden wir von schwerer Artillerie pausenlos mit Geschossen beharkt. In der Dorfmitte bewegten sich einige olivgrüne Gestalten, die russische Nachhut, auf die südliche Seite des Dorfes zu.
Es war für uns am ersten Kampftag noch unbegreiflich, dass die russische Artillerie in den Raum schoss, wo noch eigene Kräfte lagen. Endlos zog sich der Weg bis zur Dorfmitte hin, in den Granattrichtern suchten wir immer wieder Deckung vor dem heftigen Beschuss. Fontänen von Sand, Häuserteile und Granatsplitter flogen durch die Luft – die Feuertaufe für die Männer der 3. Kompanie / Infanterieregiment 470.
Links neben uns hörten wir einen entsetzlichen Schrei – der Ruf nach den Sanitätern ging durch die Reihen der Kompanie. Unserem MG-Schützen Karl Erhard hatte es buchstäblich den Arm vom Körper abgerissen. Notdürftig wurde er vom Sanitäter verbunden und später mit dem Kübelwagen zurück gebracht. Leider ist er einen Tag später auf dem Verbandsplatz gestorben, er war der erste Gefallene der 3. / Infanterieregiment 470.
Das Gewehrfeuer der russischen Nachhut ließ etwas nach, denn diese zog sich durch den Südteil des Dorfes in den links angrenzenden Wald zurück. In der Mitte des Dorfes gabelte sich der Weg nach links, der samt südlichem Ortsteil vom I. Zug besetzt wurde. Nach Erreichen der letzten Hütte, in der viele Ortsbewohner versammelt waren, erfolgte ein neuer schwerer Artilleriefeuerüberfall. Hinter Lattenzäunen und an den Panjehütten suchten wir Schutz vor den heran heulenden Granaten. Bei genauer Beobachtung konnten wir in etwa zwei Kilometer Entfernung in südlicher Richtung auf einer Höhe die russischen Feuerstellungen und ihr emsiges Treiben sehen.
Bei diesem Feuerüberfall verlor unser Kamerad Karl Schilling durch einen Granatsplitter ein Auge. Nach etwa 30 Minuten lies der Feuerzauber nach. Wir blieben bis zur Dämmerung mit Blick in Richtung des Gegners in unserer Deckung liegen, wir wussten ja nicht, ob er aus dem nahen Kusselwerk oder dem Wald auf der linken Seite hervorbrechen würde. Allmählich verstummte das Artilleriefeuer ganz. Die ganze Kompanie bildete nachts eine Sicherungslinie um den feindwärts gelegenen Dorfrand. In gespannter Aufmerksamkeit beobachteten und lauschten wir in Richtung der russischen Kräfte. Das Vorangegangene und die erste Feindberührung haben uns stark bewegt und getroffen.
Schüsse einzelner Posten und Feuer aus leichten Maschinengewehren bildeten die einzige Sprache dieser Nacht. Dann und wann zerriss eine aufwärts zischende Leuchtkugel den schwarzen Mantel der Dunkelheit. Gegen 03:00 Uhr morgens kam ein sowjetischer Überläufer in unserer Stellung an, der sofort zum Bataillonsgefechtsstand (I. Bataillon / Infanterieregiment 470, Oberstleutnant Voigt) gebracht wurde. Beim Morgengrauen sandte uns die gegnerische Artillerie als Morgengruß noch mal einen heftigen Feuerüberfall in unser besetztes Dorf Buda.
In den frühen Vormittagsstunden des angebrochenen Tages griffen wir mit dem ganzen Regiment unter Oberst Wenninger die Infanterie- und Artilleriestellungen an, die uns am Vortag so stark bepflastert hatten: im Sturm wurden sie genommen.
Kurt Breuning, ehemals 3. Kompanie / Infanterieregiment 470