Die Kampfteile unseres Regiments lagen seit fast einem Jahr an der Ugra und Ressa.
Die Stellungen wurden im Laufe des Sommers gut ausgebaut. Die vorderste Spitze befand sich just an jener großen Brücke der Rollbahn Juchnow – Roslawl, über die wir im Januar gezogen waren. Die Geschützzüge unserer 13. Kompanie waren über die ganze Breite des Abschnitts verteilt.
Unser Tross lag in einem lichten Birkenwald, in dem wir uns trotz der vielen Mücken gemütlich einrichteten. Ich kam nun als Melder wieder mit allen Zügen in Berührung und lernte jede Stellung kennen, auch die Wechselstellung die von Zeit zu Zeit bezogen wurden.
Als unser Tross sich in seinem Waldlager gerade nett und gemütlich eingerichtet hatte, wurden wir in einen anderen Raum verlegt. In gerader Linie durch den Wald war es nur eine Entfernung von 500 Meter, aber es war ein Umweg durch ein rückwärts liegendes Dorf erforderlich.
Beim Einrücken in das neue Lager fanden wir sämtliche Erdbunker abgesoffen vor, also voll Wasser stehend. Auspumpen war vergebens. Da begann der Spieß einen Kampf beim Stab um unser altes Waldlager. Nachdem wir uns zunächst einigermaßen wieder eingerichtet hatten, durften wir tatsächlich dorthin zurück.
Mitte Januar 1943 war wieder einmal Stellungswechsel, nach rechts an die Ressa, ein Weg von nur zehn Kilometern, jenseits der großen Rollbahn. Unser leichter Zug wurde, da im Raum nicht genügend Feuerstellungen und Unterkunftsbunker lagen, mit einem Nebelwerfer-Zug in eine Stellung gelegt, die dann in den folgenden Tagen auszubauen war.
Da diese neu bezogene Stellung überbelegt war, mussten einige Kameraden und ich beim Nachbarzug, den schweren Infanterie-Geschützen übernachten und dort auch Wache stehen. Der schwere Zug lag sehr schön am Oberhang einer Schlucht. Der Weg von unserem leichten Zug dahin führte über eine Höhe, die vom Feind eingesehen war. Um Verluste zu vermeiden, war von unseren Vorgänger ein zwei Meter tiefer Lauf – Graben angelegt worden, mit Balken und Reisig gegen Sicht und Schneeverwehungen geschützt.
Diesen Graben ging ich abends zum schweren und morgens zum leichten Zug zurück. Am dritten Tag wurde beim leichten Zug angerufen, wo ich eigentlich stecke, ich gehöre doch ab sofort zum schweren Zug, Ich packte also meine restlichen Sachen und machte mich zum andern Verein auf den Weg. Der Stellungsunteroffizier wehrte sich gegen meine Versetzung innerhalb der Kompanie und ärgerte sich schwer, doch war an diesem Befehl nichts mehr zu ändern.
Es war wirklich eine schöne Stellung, am Oberrand der Schlucht bei den Ausläufern eines Waldes. Große und helle Bunker sorgten sogar für etwas Gemütlichkeit. Eines Abends erhielt ich vom Kompaniechef den Befehl, mich am nächsten Morgen mit Ski und Tarnanzug bei ihm zu melden. Vom Skilaufen hatte ich keinen blassen Dunst! Unterwegs probierte ich es dann, fiel aber gleich hin und verstauchte mir einen Daumen. Das fing schon gut an.
Die Frage des Chefs ob ich Ski laufen könne, verneinte ich. Er meinte nur, dass ich es dann eben lernen müsse. An diesen Tag fuhren wir sämtliche Feuerstellungen unserer Kompanie ab, dann zurück zum Tross, dann zum Regiment und wieder zurück zur Stellung, insgesamt an die 15 Kilometer. Ich schwitzte und dampfte wie eine alte Lokomotive, doch mit der Zeit ging es besser.
Von diesem Tag an war ich der ständige Begleiter des Kompaniechefs. Einmal hatte er die Offiziere vom Grabendienst, und alle Posten in den vordersten Stellungen des Regiments-Abschnittes zu kontrollieren. Auch hier begleitete ich ihn.
Doch bald waren diese Wochen zu Ende, man munkelte schon lange von der Auflösung des Regiments. Unsere Kompanie wurde dann am 6. Februar aufgelöst und verteilt. Ein Teil mit dem Kompanie – Chef blieb in der Stellung und kam zur 13. Kompanie des IR 480, ein anderer Teil wurde zur 13. Kompanie des IR 460 versetzt, und der Rest (mit ihnen auch ich) kam zum Divisionsbataillon 260.
Mein neuer Zugführer war Oberfeldwebel Müller von unserer alten Kompanie. Er teilte mich als Gruppenführer ein, denn wir waren ja nun in einer Schützenkompanie. Auch hier musste alles erst gelernt werden, der ganze Infanteriedienst und erst Recht die Kommandos. Bald hatte ich auch das heraus.
Doch nur kurz war meine Herrlichkeit des Gruppenführers. Um die neue Kompanie auf volle Stärke zu bringen, erhielten wir mit dem nächsten Nachersatz viele Leute, unter ihnen auch den Rechnungsführer des Marschbataillons der auf Befehl seine Frontbewährung für eine Beförderung zum Offizier machen sollte. Er war 42 Jahre alt mit dem Dienstgrad Gefreiter, und wurde nun an meiner Stelle Gruppenführer.
Drei Wochen wurden wir ausgebildet, dann ging es Ende Februar in eine Stellung an der Ressa. Wegen erhöhter Alarmbereitschaft wurde jede Nacht 14 Stunden Wache gestanden. Tagsüber hieß es die Gräben frei zu Schaufeln vom Schnee sowie Holz, Verpflegung und Munition von rückwärts zu holen, so das man kaum mehr als eine Stunde schlafen konnte. Von hinten trieb der Wind den Schall heftigen Artilleriefeuers an unsere Ohren. Über 50 Kilometer zurück waren schwere Kämpfe im Gange, da der Russe durchbrechen wollte, um unsere weit vorgetrieben Frontspitze abzuschnüren. Deshalb wurde nun unser Frontbogen geräumt. Die Kompanie war die Nachhut der Division.
Auf zusammengenagelten Handschlitten zogen wir die notwendigste Habe, Hauptsächlich Munition und Verpflegung, nachts auf ungebahnten Wegen zurück. Tagsüber wurden die erreichten Plätze gehalten und abends ging es weiter zurück, angeblich in vorbereitete Stellungen.
Auf diesem Rückzug kamen wir auch wieder durch das Gebiet, das uns von den Partisanenkämpfen des vergangenen Sommers noch gut bekannt war. Die verlassenen Stellungen waren angezündet worden oder gesprengt, alle rückwärtigen Lager schon zerstört, da sie schon etliche Tage vor uns geräumt wurden.
Dieser Rückzug war überreich an Strapazen und wir waren bald am Ende unserer Kräfte. Wir konnten einfach nicht mehr. Eine Nacht und den nächsten Tag aber mussten wir nochmals durchhalten, bis wir an einen Waldrand wieder Front machten. Vor uns und mit uns verminten Pioniere die Marschwege.
An diesem Waldrand konnten wir endlich einmal Feuer machen und uns wärmen, mussten das Feuer aber mit Einbruch der Dunkelheit löschen. Wir gruben uns Schneelöcher, legten Tannenreisig hinein und richteten so unser Nachtlager. Da der Russe uns nicht gleich auf den Fersen folgte, hatten wir etwas Ruhe und konnten die Nacht gut durchschlafen. Ein Mann nur hatte jeweils Wache.
Am folgenden Abend rückten wir wieder weiter, wurden dann auf Lastwagen verladen und zurückgebracht. Auf den Fahrzeugen war Munition verstaut und darauf sitzend fuhren wir zurück durch brennende Dörfer und Städte, ein unvergesslicher Eindruck! In einem Dorf wurden wir abgesetzt, ruhten einen Tag aus und legten den Rest des Weges wieder zu Fuß zurück.
An einem Waldrand bezogen wir dann tatsächlich vorbereitete Stellungen, die allerdings nur behelfsmäßig angelegt waren, um einen kleinen Schutz bieten zu können.
Nach zwei Tagen bereits wurden wir wieder abgelöst, Pioniere übernahmen den Abschnitt. Der Rückzug war beendetet. Wir bezogen in einem etwa 10 Kilometer seitlich zurückliegenden Dorf Quartier. Der Russe aber glaubte noch nicht, dass wir nun halten wollten. Er griff mit starken Kräften an. Diese Angriffe steigerten sich immer mehr unter Einsatz aller Waffen, doch nirgends gelang den Sowjets der entscheidende Durchbruch.
Zu Beginn dieser schweren Kämpfe waren wir wieder nach vorne gezogen worden als Reserve, mussten aber als dem Feind ein kleiner Einbruch gelang, schnell eine Höhe besetzen und mit dem Stellungsbau beginnen. Dieser Einbruch konnte von den vorn eingesetzten Kräften im Gegenstoß wieder bereinigt werden.
Etwa 12 T34 waren durchgebrochen und streiften im rückwärtigen Gebiet. Einer nach dem andern wurde zur Strecke gebracht. Ein Panzer fuhr dann auf einer Straße in ein Dorf, das man bereits als von uns geräumt ansah. Ein Unteroffizier von der Nachbarkompanie fuhr ihm mit dem Fahrrad nach, bewaffnet nur mit einer Pistole!
Der T34 hielt, dieser Unteroffizier kletterte auf den Turm und klopfte auf den Deckel. Von innen wurde geöffnet, die Russen blickten in den Lauf der entsicherten Pistole. Sie stiegen ohne weitere Gegenwehr aus!
Bei dem nun einsetzenden Tauwetter wurden weitere Operationen der Russen unmöglich und die Angriffe ließen nach. Nur Artillerie und Stalinorgel funkten noch schwer in der Gegend herum. Unser Bataillon lag nun wieder in dem rückwärtigen Dorf. Tagsüber schliefen wir in den von der Bevölkerung geräumten Häusern, abends schleppten wir uns durch knietiefen Schlamm nach vorn, gruben die ganze Nacht und zogen in der Morgendämmerung wieder nach hinten. So ging es dann Wochen hindurch, einmal da, einmal da zum Ausbau der Stellungen eingesetzt.
Paul Hug