Nachdem das Infanterieregiment 470 die Abwehrkämpfe südlich Kondrowo siegreich bestanden hatte, erhielt es von der 260. Infanteriedivision den Auftrag die neue Widerstandslinie „Bogdanow“ (ausschließlich) Ostroshnoje 48 Stunden lang zu halten.
Das durch die Panzerjägerabteilung 559 (2 Offiziere, 100 Unteroffiziere und Mannschaften) verstärkte Regiment soll sich in der neuen Widerstandlinie B einrichten, während die Widerstandslinie A (Galkino – Kostino) von Teilen der Division 24 Stunden gehalten wird.
Daraufhin entschloss sich der Regimentskommandeur das II. Bataillon als Gefechtsvorposten in Petrowka einzusetzen mit dem Auftrag Petrowka 48 Stunden zu halten, um den anderen Bataillonen etwas Ruhe zu gönnen.
Durch irgendein Versehen wurde entgegen dem Divisionsbefehl die Ortschaft Panowka (2,5 Km vor der neuen Hauptkampflinie) nicht abgebrannt. Diese Unterlassung der Nachhut hat dem Regiment starke Verluste gekostet. Als die Widerstandslinie B endlich in der Nacht vom 27. auf den 28. Januar 1942 geräumt werden durfte, hatte das Regiment noch eine Gefechtsstärke 5 Offizieren, 100 Unteroffizieren und Mannschaften, während die Gefechtsstärke der Pz.-Jg. Abt. 559 noch 1 Offizier 25 Unteroffiziere und Mannschaften betrug.
Das II. Bataillon hielt 2 Tage lang dem ständig wachsenden Feinddruck stand und setzte sich in der Nacht vom 21.auf den 22. Januar befehlsgemäß ab. Inzwischen hatte das XIII. Armeekorps aber seine Disposition geändert. Infolgedessen musste das Regiment anstatt 2 Tage insgesamt 8 Tage lang diese Stellung halten, die infolge der ursprünglichen Absicht nur behelfsmäßig vorbereitet war.
Tagelang griff der Feind immer wieder mit neu zugeführten Kräften unsere Stellung bei Ostroshnoje und südlich davon an. In Panowka, der einzigen unversehrten Ortschaft vor der HKL, hatte sich inzwischen der Russe mit einem Infanterieregiment und Artillerie häuslich niedergelassen. Entgegen dem bolschewistischen Befehl der uns einmal in die Hände fiel: „Nicht mit Menschen aber mit Munition sparen!“ jagte der Russe uns nicht nur Welle auf Welle entgegen, sondern er unterstützte seine Angriffe durch gut gezieltes Feuer und schoss auch in den Kampfpausen auf einzelne Schützen und Meldegänger mit der Pak und Granatwerfern.
Tag und Nacht stürmten die Russen mit heiserem Gebrüll gegen unsere Linie an. Und als sie keine Waffen mehr hatten, jagten sie ihren Haufen teilweise ohne Gewehre nach vorn. „Nehmt euch die Gewehre der Gefallenen“ wurde zu ihnen gesagt. Von der B-Stelle aus konnte man sehen, wie Kommissare ihren Soldaten die Taschentücher abnahmen, damit sie sich nicht ergeben konnten.
Zu Beginn des Jahres 1942 hatte Stalin seinen unmenschlichsten Befehl an die Rote Armee gegeben, nach dem den Angehörigen jedes vermissten Soldaten die Unterstützung entzogen wird. Bei der damaligen Ernährungslage des bolschewistischen Staates bedeutete dass aber nichts anderes, als das die Familie eines jeden Soldaten, der in deutsche Gefangenschaft geriet dem Hungertod ausgeliefert wird. Was aber ist schon ein Menschenleben in Russland – „Nitschewo!“ Es bedeutet nichts. Nur so konnte man sich die ständigen verlustreichen Angriffe der Russen von 50 bis 100 Mann erklären.
Vor dem Morgengrauen des 22. Januar greift der Russe unsere dünn besetzte Stellung auf dem rechten Flügel an, stößt durch unsere HKL hindurch und setzt sich im Wald, 400 m südlich des Regimentsgefechtsstandes fest. Um 09:30 Uhr gelingt es Teilen des II. und III. Bataillons die Lücke in der HKL wieder zu schließen. Etwa 400 Russen jedoch sitzen ruhig im Wald südlich Grebnewo, ohne vorläufig etwas zu unternehmen.
Gegen 13:00 Uhr setzte Artilleriefeuer auf unsere Stellung in und um Ostroshnoje ein. Nach den ersten Einschlägen, die auch den Gefechtsstand des III. Bataillons in Brand steckten, verlegte der Bataillonskommandeur (dessen Pelzmantel ein Raub der Flammen geworden ist) trotz – 30 Grad in eine Kartoffelmiete. Da der Feind auf jede Rauchfahne schießt, kann dieser Gefechtsstand nur nachts geheizt werden.
Auch am 23. Januar setzt der Feind seine Angriffe in Kompaniestärke fort und versucht durch Störungsfeuer seiner schweren Infanteriewaffen die Gefechtsstärke des Regiments zu dezimieren. Da der Boden bis 2 Meter tief gefroren ist und nur behelfsmäßige Unterstände in den Kellerlöchern der Häuser gebaut werden können, haben die Sanitäter und der Regimentsarzt reichlich zu tun.
Da am 24. Januar die Funk- und Drahtverbindung zum II. Bataillon unterbrochen ist, nimmt der Regimentsadjutant Verbindung mit dem Gefechtsstand des II. Bataillons auf. Hier macht auch Hauptmann Gebhardt die Erfahrung, dass der Russe nicht mit Munition spart und mit gezielten Schüssen der Panzerabwehrkanone jeden Mann zu treffen sucht, der die von Osten nach Westen verlaufende Straße überquert. Kaum ist der Regimentsadjutant beim II. Bataillon eingetroffen als ein Volltreffer die Balken des Hauses zum Einsturz bringt und Oberleutnant Helmling mit seinem Funker und dem Regimentsadjutant verschüttet werden. Der gemeinsamen Anstrengung gelingt es, sich wieder aus dem Kellerloch heraus zu arbeiten.
Am 25. Januar versucht der Russe nachts um 02:00 Uhr und erneut wieder um 04:00 Uhr mit zwei Erkundungsvorstößen in Stärke von etwa 50 Mann die Verbindung mit dem am 22. Januar durchgebrochenen Russen herzustellen. Beide Vorstöße werden abgewiesen.
Um 07:00 Uhr trifft ein Funkspruch des vorne links eingesetzten I. Bataillons ein: „Feind bis Gefechtsstand eingebrochen, Kolchose und Straße Ostroshnoje – Grebnewo in Feindeshand.“ Das III. Bataillon wird zum Gegenstoß angesetzt, um den Feind zurück zu werfen, aber um dieselbe Zeit greift der Feind Ostroshnoje von Süden an. Gegen 09:00 Uhr meldet das III. Bataillon das die Verbindung zum I. Bataillon wieder hergestellt ist. Der Feind beherrscht aber von der Kolchose her die Straße von Ostroshnoje – Grebnewo.
Um 10:00 Uhr erneut Feindangriff in Kompaniestärke auf dem rechten Flügel, Lage ungeklärt. Gegen 12:00 Uhr nimmt das III. Bataillon die Kolchose, unterstützt durch eine Batterie des Artillerieregiments 260, deren vorgeschobener Beobachter (VB) bewundernswert gut schießt. Aber der Russe lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Erneut greift er an, um die Kolchose wieder zu nehmen. Um 15:30 Uhr meldet II. Bataillon: „Feind erhält Verstärkung, Halten der Stellung nur noch bis Dunkelheit möglich“. Eine halbe Stunde später erfolgt tatsächlich der nächste Angriff. Die Bitte des Regiments die HKL im Laufe der Nacht in eine rückwärtige Stellung zu verlegen, wird vom 1a der Division abgelehnt, da die taktische Lage das Halten von Ostroshnoje trotz der zahlreichen Opfer verlangt.
Der 26. Januar bringt eine Krisenlage nach der anderen. Bereits um 01:00 Uhr nachts beginnt der Feind mit seinen Erkundungsvorstößen auf das Birkenwäldchen südlich Ostroshnoje. Bei dem nachfolgenden stärkeren Angriffen weicht der rechte Flügel in Richtung Bogdanowo aus. Das durch 2 Pionierkompanien verstärkte III. Bataillon tritt morgens um 07:00 Uhr zum Gegenstoß an. Infolge des starken Abwehrfeuers und Ausfall sämtlicher in vorderer Linie eingesetzter Offiziere bleibt der Gegenstoß am Birkenwäldchen liegen. Doch damit nicht genug: gegen 09:00 Uhr ist wieder eine Krisenlage beim Regimentsgefechtsstand zu verzeichnen. Eine etwa 30 Mann starke Gefangenenkolonne nähert sich von Süden kommend dem ostwärtigen Haus in Grebnewo.
Major Schütz macht den Regimentsadjutanten fernmündlich auf diese Kolonne aufmerksam. Hauptmann Gebhardt hat keinen Zweifel über die Täuschungslist des Feindes, obwohl die ersten beiden Eindringlinge deutsche Uniformen mit Schneehemden an hatten und ruft: „Russen im Dorf!“ Als der Regimentskommandeur die beiden deutschen am Anfang der Kolonne sieht, schreit er: „Nicht schießen es sind Deutsche!“
Der erste „Deutsche“ aber legt an schießt stehend freihändig (100m Entfernung) und trifft den Regimentskommandeur, der neben den Adjutanten auf der Treppe steht. Bauchschuss! Major Baur wird vom Regimentsarzt verbunden und im Galopp in einem Panjeschlitten zum Hauptverbandsplatz gebracht.
Die Lage ist insofern kritisch, als die letzten Reserven des Regiments zum Gegengriff in vorderer Linie eingesetzt sind und der Regimentsadjutant nur noch über 3 Melder und 2 Mann vom Divisions-Funktrupp verfügt. Verwundete die von vorne kommen, erhalten plötzlich Feuer aus dem Haus der Verwundeten-Sammelstelle.
In dieser schwierigen Lage hilft die Division mit ihrer letzten Reserve. Ein Wachtmeister mit 9 Mann und ein MG, die nach einer halben Stunde eintreffen. Zum Glück hat sich der Russe mit der Eroberung der Verwundeten – Sammelstelle begnügt, die geheizt und mit Stroh versehen ist. Durch geschickt aufgebauten Feuerschutz und gedecktes, überraschendes Annähern des kleinen Stoßtrupps gelingt es, die 30 Russen zu vernichten und einen Gefangenen zu machen. Bei der Untersuchung nach Waffen stellt sich heraus, dass der Russe eine neue deutsche Uniform unter seiner Steppjacke trägt. Bei einem gefallenen russischen Leutnant findet der Regimentsadjutant eine Skizze, auf der der Weg bis zum ersten Haus in Grebnewo eingezeichnet ist. Die im Walde südlich Grebnewo seit 4 Tagen liegenden Russen zeigten glücklicherweise keine weitere Initiative. Ein Reiterspähtrupp der täglich an diesem Waldrand vorbei galoppiert, konnte immer wieder melden dass der Russe noch da war.
Zur selben Zeit als der russische Stoßtrupp in Grebnewo eindrang, griff der Feind Ostroshnoje beim I. Bataillon in Stärke von etwa 200 Mann an, konnte aber abgewehrt werden.
Um die Mittagszeit übernimmt Major Schütz befehlsgemäß als 5. Regimentsführer seit Beginn des Russlandfeldzuges das Regiment. In der Nacht zum 27. Januar und erneut in den frühen Morgenstunden werden mehrere feindliche Vorstöße in Stärke von 30 bis 50 Mann abgewiesen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit trifft der Divisionsbefehl zum Absetzten auf die neue Widerstandslinie an der Ugra beiderseits Kolychmanowo ein. Während des nächtlichen Stellungswechsels werden zurück marschierende Teile des Regiments mehrfach von russischen Spähtrupps aus südlicher Richtung beschossen. Jeder Überlebender des Regiments war froh, diese Stellung räumen zu dürfen. Wer dabei war wird es nie vergessen.
Die Verteidigung von Ostroshnoje, die das Regiment etwa 75 Prozent Verluste gekostet hatte, war notwendig gewesen, um die Flanke der 4. Armee zu schützen und ein weiter nördlich angesetztes Unternehmen nicht zu gefährden. An der tapferen Verteidigung von Ostroshnoje haben alle Soldaten des Regiments, der unterstellten Panzerjägerabteilung 559 sowie Teile der II. Abteilung des Artillerieregiments 260 gleiche Anteile.
Das schwäbische Regiment hat wieder einmal bewiesen, das man sich auf seine Soldaten verlassen kann. Als äußere Anerkennung für die hervorragende Leistung des Regiments wurde der schwer verwundete Major Baur mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.
Dr. Tim Gebhardt