Juli 1941: Aufklärung der verstärkten 3. Kompanie / Infanterieregiment 470

Die 2. Armee unter Generalfeldmarschall Freiherr von Weichs erreichte am 14. Juli 1941 als rechter Flügel der Heeresgruppe Mitte den Raum Star Bychow – Bobruisk und stieß bis zum 20. Juli hinter der Panzergruppe Guderian bis zur Linie Kritschew am Sosh und Paritschi am Dnjepr vor.

Ihr gegenüber stand die 5. Sowjetarmee unter Generalmajor Potapow als Teil der sowjetischen Heeresgruppe „Südwestfront“ des Generaloberst Kirponos.

Unsere 260. Infanteriedivision unter Generalleutnant Schmidt kämpfte im Verband und am offenen Südflügel des XXXXIII. Armeekorps und erreichte am 21. Juli den Kampfraum Romanischtsche, der nach härtesten Kämpfen am 24. Juli eingenommen wurde.

In diesem Zeitraum klaffte zwischen den Heeresgruppen Mitte und Süd eine Lücke von fast 120 Kilometern bis hin zur 62. Infanteriedivision unter Generalleutnant Keiner, die dem XVII. Armeekorps (General Kienitz) der 6. Armee (Generalfeldmarschall von Reichenau) angehörte.

Die 3. / Infanterieregiment 470 unter Leutnant Kech, damals Radfahrkompanie des Regiments erhielt den Auftrag, einen kampfstarken Stoßtrupp zu bilden, um mit dem rechten Nachbarn (linker Flügel der Heeresgruppe Süd) Verbindung aufzunehmen.

Mit der Führung des Stoßtrupps wurde der Zugführer des ersten Zuges, Leutnant Dr. Kurt Raff aus Göppingen beauftragt. Es wurde erwartet, dass der Stoßtrupp unbedingt innerhalb von 2 Tagen mit dem rechten Nachbarn Verbindung aufnimmt, egal ob mit oder ohne Kampf. Der Trupp wurde wie folgt gegliedert: Vorn Leutnant Raff mit verstärktem Zugtrupp, 50 Meter dahinter der Rest des I. Zuges in Reihe, dann zwei Panzerabwehr-Geschütze unserer 14. Kompanie, anschließend folgten 2 Gruppen des II. Zuges, nach weiteren 150 Metern der Funkwagen des Regiments und danach zwei Sturmgeschütze; den Schluss bildete als Sicherung die letzte Gruppe des II. Zuges.

Das Unternehmen begann am 30. Juli früh um 07:00 Uhr. Auf halbwegs guter Straße führte uns der Marsch zunächst durch einen dunklen Kiefernwald. Es ging flott voran. Nach gewissen Zeitabständen wurde immer wieder Halt gemacht und nach rechts und links des Weges beobachtet. Jedes Geräusch wurde möglichst vermieden, um unauffällig an den Gegner heranzukommen und uns vor gegnerischen Überraschungen zu schützen.

Kilometer um Kilometer stießen wir ins russische Hinterland hinein. Die Hitze wurde immer unerträglicher, der Schweiß rann uns von der Stirn, unsere Gesichter waren staubverschmiert. Wir waren nun schon fast drei Stunden bei drückender Hitze unterwegs und hatten noch keine Feindberührung. Der Uhrzeiger rückte auf 11 Uhr. Etwa 40 Kilometer hatten wir in der heißen Sonne schon hinter uns gebracht. Die Nerven wurden durch die Ungewissheit immer mehr angespannt. Wird diese Sache gut ausgehen?

Plötzlich wurde der Wald lichter. „Halt, je eine Gruppe links und rechts der Straße bis vor an den Waldrand zur Beobachtung!“

Dr. Raff, 2. von links

Dr. Raff, 2. von links

Vorsichtig, jedes Knacken von Ästen vermeiden, erreichten wir den Waldrand. Durch unser Fernglas sahen wir in zwei bis drei Kilometer Entfernung die in der Mittagssonne flimmernde Silhouette eines Dorfes. Mit Hilfe von Karte und Kompass stellten wir fest, dass es Haboldeka sein musste. Trotz intensiver Beobachtung konnten wir außer einigen russischen Soldaten und umher gehenden Zivilisten nichts Ernsthaftes erkennen.

Leutnant Raff zog die beiden Sturmgeschütze und die Panzerabwehrkanone bis an den Waldrand vor, je eine Gruppe blieb als Nahsicherung bei jedem Geschütz abwehrbereit liegen, der Rest mit Abstand von fünf Metern von Mann zu Mann marschierte weiter in Richtung des Dorfes.

Nach drei Seiten sichernd drangen wir bis zum Dorfrand vor. Es fiel kein Schuss. Der erste Eindruck erschien uns gut. Es konnte keine größere Feindgruppe vorhanden sein, sonst hätte sie uns nicht so ruhig und friedlich bis zu den ersten Häusern vorgehen lassen. Oder sollte es eine Falle sein? Die russischen Soldaten kämpften gerne aus dem Hinterhalt – und das zeigte sich auch bald.

Inzwischen wurden durch verabredete Zeichen die Sturmgeschütze und die beiden Pak sowie die zwei Sicherungsgruppen nachgezogen. Unsere volle Kampfkraft war wieder beieinander – nun, Sturm brich’ los!

Und er brach los! An der ersten Straßenkreuzung, die geradeaus zu einer Bahnlinie führte, begann die Schießerei. Von beiderseits der Straße starkes MG- und Gewehrfeuer. Es schwirrte und surrte nur so vor Geschossen. Querschläger zischten von einer Häuserreihe zur anderen. Das kann ja heiter werden in dieser prallen Sonnenhitze. Leutnant Raff erkannte und beurteilte die Lage sofort richtig. Er teilte seine Kampfgruppe am Straßenkreuz sogleich in zwei Stoßtrupps. „Der erste Zug mit einem Sturmgeschütz links der Straße entlang vorgehen. Der zweite Zug, ebenfalls von einem Sturmgeschütz unterstützt, nach rechts zum Bahnhof vorgehen. Verstärkter Zugtrupp mit zwei Pak sichert an der Kreuzung.

zerstörte russische Batterie

zerstörte russische Batterie

Als Auftakt unseres Angriffs jagten die Sturmgeschütze je zwei Schuss in nördlicher und südlicher Richtung der Straße entlang. Die Garben unserer Maschinengewehre, Gewehrschüsse und Feuerstöße unserer Maschinenpistolen bellten hell dazwischen. Die Pak jagt ihre Granaten in die Verstecke der feuernden russischen Truppen hinein. Ein mächtiger Feuerzauber entfaltet sich in wenigen Augenblicken. Nach 80 Metern Vorstürmen unseres Zuges lässt die gegnerische Knallerei schon merklich nach. Einige verwundete russische Soldaten schreien ihr flehentliches „Pan“ in den Kampflärm. Zum Glück sind bei unseren Männern bis jetzt noch alle Knochen heil geblieben.

Da sehen wir am nördlichen Dorfausgang drei russische LKW gut getarnt abseits der Strasse stehen. Ganze Scharen von oliv-braunen Gestalten wollen die Wagen in wildem Durcheinander erklettern. Mit je einem Schuss trifft das uns begleitende Sturmgeschütz zwei der Fahrzeuge samt ihrer Besatzung. Den dritten LKW nehmen wir Infanteristen unter Feuer. Einige gegnerische Soldaten suchen ihre Rettung in der Flucht zum nahe liegenden Wald. Unsere Maschinengewehre schicken auch ihnen etliche Garben nach.

Keine Stunde hat dieser Spuk gedauert, noch einige vereinzelte Schüsse – das letzte Aufbäumen des kurzen Kampfes. Wir sind schnell Herr der Lage geworden, durchsuchen noch schnell einige Häuser; aber nur einige Uniformstücke, Stahlhelme und Gasmasken finden wir vor. Scheinbar haben einige Russen Zivilkleider angezogen. Am Dorfausgang stellen wir mit Entsetzen fest, welche Zerstörung doch zwei Sturmgeschützgranaten anrichten können.

In unserem Rücken ist am anderen Ende der Straße in Bahnhofsnähe, wo der zweite Stoßtrupp vorgeht, im Augenblick noch eine wilde Schießerei im Gange. Es scheint so als leisteten die Russen dort stärkeren Widerstand. Wir, der I. Zug, erhalten den Befehl dorthin zu kommen. Eine Gruppe bleibt hier am Nordausgang des Dorfes zur Sicherung liegen. Im Eiltempo rasen wir zum Bahnhof, um auch dort schnell den Widerstand zu brechen und unseren Kameraden zu helfen. Als wir in die Nähe des Bahnhofs kommen, ist auch dort plötzlich Ruhe eingetreten. Einige Gewehrschüsse peitschen noch in die Wände der russischen Katen.

Sturmgeschütz und Infanterie

Sturmgeschütz und Infanterie

Nachdem wir einige Sicherungsposten eingesetzt haben, machen wir kurz Rast. Plötzlich ertönt in die verdiente Verschnaufpause hinein der Ruf: „Panzer von links! Pak nach vorn!“ In rasendem Tempo rauschen sie heran, werden abgeprotzt und in Feuerstellung gebracht. Aus südöstlicher Richtung kriechen zwei T34 in mäßigem Tempo wie im tiefsten Frieden durch das Kusselgelände auf den Südausgang des Dorfes zu. Aber bis wir die Lage recht erkannt haben, hat eines der ebenfalls in Stellung gefahrenen Sturmgeschütze schon ganze Arbeit geleistet. Einer steht nach dem zweiten Schuss in hellen Flammen, der andere ist nach dem dritten Schuss kampfunfähig. Zwei Rotarmisten booten aus und suchen Schutz im Gebüsch. Unsere Pak braucht nicht mehr einzugreifen.

Inzwischen hat der Funkwagen den Befehl von der Division bekommen: „Leutnant Raff stößt mit seiner Kampfgruppe über Haboldeka hinaus auf der Straße in östlicher Richtung vor.“ Wir schwingen uns auf unsere Stahlrösser und schon kommt das Kommando „Stoßtrupp Marsch!“ Noch liegt kaum ein Kilometer hinter uns, da beobachten wir auf einer Anhöhe vor uns in etwa 2000 Metern Entfernung Truppenbewegungen von Süden nach Norden. Glas ans Auge, Rätselraten geht durch die Reihen! Sind es eigene, sind es Russen? Vorsichtshalber machen wir uns kampfbereit Die beiden Sturmgeschütze und die zwei Pak gehen in den Kusseln in Stellung.

Noch können wir trotz eingehender Beobachtung nicht feststellen ob es Freund oder Feind ist. Bemerkt müssen sie uns aber schon haben, denn sie verschwinden langsam hinter dem Rücken der Anhöhe. Scheinbar befinden sie sich auch im Zweifel wer wir sind. Das Warten und Rätselraten wird für uns zur Ewigkeit; denn nichts rührt sich. Wieder trifft Leutnant Raff, wie immer in solchen heiklen Situationen, die richtige Entscheidung. Sein Befehl lautet: „II. Zug in Feuerstellung links und rechts der Straße, I. Zug geht gedeckt weiter vor bis zur Anhöhe!“ Unser Chef führt selbst den vorgehenden Zug. Ein Fliegertuch wird mitgenommen. Wir sind etwa 800 Meter vorgedrungen, da beobachten wir plötzlich einen Spähtrupp der auf uns zukommt. Scharfes Beobachten mit dem Fernglas lässt vermuten, dass es Deutsche sein müssen, aber noch sind wir uns nicht ganz sicher. Jetzt heißt es eben auf gut Glück Farbe bekennen. Zwei Mann von uns zeigen das Fliegertuch und gleichzeitig schießen wir drei weiße Leuchtkugeln hoch. Wir, ebenso wie dir anderen, sind stutzig geworden. Nichts geschieht. Totenstille herrscht! Geladen von innerer Spannung werden die nachfolgenden Minuten fast zur Ewigkeit. Doch plötzlich wird der Bann gebrochen; unsere Gegenüber schießen ebenfalls drei weiße Leuchtkugeln ab. Wie ein leuchtendes Fanal steigen sie in den wolkenlosen Himmel der vor Hitze flimmernden fremden Landschaft.

Nun stellen wir einwandfrei fest, dass es deutsche Soldaten sind. Aufrecht gehen wir aufeinander zu, begrüßen uns mit lautem Hallo, schütteln uns kräftig die Hände und schlagen uns gegenseitig vor lauter Freude auf die Schultern.

Es sind Kameraden der 45. Infanteriedivision (unter General Schlieper). Sie bilden den rechten Flügel der 2. Armee und haben ihre Vormarschrichtung von Osten nach Norden geändert. Sie stieß hier unweit von Haboldeka mit uns zusammen. Durch diese Vereinigung sind Teile des LXVI. sowjetischen Schützenkorps eingeschlossen worden. Es sind Verbände der 43. und 47. Kavalleriedivision.

Die Soldaten der 45. Infanteriedivision ziehen mit uns in Haboldeka hinein und beziehen dort Stellung und Quartier. Nach kurzer Rast in dem Dorf verabschieden wir uns von ihnen und verlassen in zügigem Tempo den Ort, um die vor uns liegende 45 Kilometer lange Strecke bis zu unserem Regiment 470 noch vor Einbruch der Dunkelheit zu überwinden. Gegen 22:00 Uhr sind wir wieder bei unseren Kameraden, die uns mit großem Jubel empfangen.

Es war kein allzu schwerer Kampftag, aber ein anstrengender und die Nerven belastender Tag, den unser Leutnant Raff mit seinen Männern gut hinter sich gebracht hat.

Kurt Breuning

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