Nach wochenlangen, aufreibenden Rückmärschen die vom Brückenkopf Kremenki aus ihren Anfang nahmen, hatten wir im Stillen gehofft und gewünscht, endlich einmal in eine vorbereitete Stellung einziehen zu können, uns wieder festzusetzen und uns in einer wirklichen HKL zu finden.
Ein Zurückfluten war es, aus notdürftigen Schneestellungen, die während des Tages gegen übermäßige starke Feindkräfte gehalten werden mussten. Unter Zurücklassung schwacher Nachkommandos – sprich Himmelfahrtkommandos –, die das Herauslösen der eigenen Truppe decken und den Russen durch Störfeuer täuschen mussten, sind wir in diese endlosen kalten Nächte hinein marschiert – hungernd, frierend, krank und unendlich müde!
Die Angst im Nacken, den Russen auf den Fersen, die Kälte in den Knochen, so zogen wir eines Nachts in die heiß ersehnte Ressa–Stellung ein. Damit hatten die siegreichen Absetzbewegungen in der Nacht vom 3. auf 4. März 1942 ihr Ende gefunden. Halbfertige Bunker und Laufgräben hatten wir natürlich erwartet. Aber anderseits hatten auch alle die Nase voll von diesen verfluchten Nachtmärschen. Darum gingen wir mir frischen Mut an den Weiterausbau der Stellungen.
Die 6. Kompanie des Infanterieregiments 480 mit Oberleutnant Körner lag am Rande eines lichten Waldes in Vorderhangstellung, das Gelände leicht abfallend zur Ressa hin und am feindlichen Ufer wieder leicht ansteigend, dann flach verlaufend bis zum Waldrand (etwa 200m) zur russischen HKL. Hinter uns die Rollbahn Richtung Juchnow.
Der Fluss wälzt seine schmutziggelben Fluten durch sein tiefes Bett, und dies war eine gewisse Beruhigung für uns. Ein Minenfeld und einzelne Drahtsperren schützten uns fürs Erste vor bösen Überraschungen. Der Ausbau der Stellungen ging nun rasch voran. Die Bunker wurden verstärkt, die Gräben tiefer ausgehoben und weites Schussfeld geschaffen. Der Russe versuchte natürlich diese Arbeit durch seine Scharfschützen zu stören, denn wir mussten öfters vor den Gräben ohne Deckung arbeiten. Die Grabensohle wurde dann noch mit Birkenhölzern ausgelegt, die einzelnen MG-Stellungen innen verschalt und die Bunker „auf Hochglanz“ gebracht.
Später wurden noch zur „Freizeitgestaltung“ die Gräben mit Birkenbesen gefegt. Damit war unser Abschnitt zur „Muster – HKL“ avanciert, daher auch die vielen hohen Besuche, die in der Folge zu uns kamen.
Nach anfänglichem Versuch der Russen bei tiefem Schnee noch in unsere Stellung einzubrechen, mussten sie es endlich einsehen, dass hier bei uns nicht zu machen war. Es blieb ihnen nichts anderes übrig als ihre Toten im Vorfeld liegen zu lassen, die dann nach der großen Schneeschmelze und nach dem endgültigen Einzug des Frühlings sichtbar wurden. Nach diesem, so trostlosen Winter erwärmte uns wieder die Sonne – es ging zum allgemeinen Schrubben unseres ausgemergelten Körpers. Wir bekamen unsere lang ersehnte Feldpost. Grüße und Päckchen aus der Heimat. Es war eine wahre Freude!
Nach so ruhig verbrachten Wochen – der Russe störte uns nur durch seine Fernkampfartillerie zur festgesetzten Stunde – beobachten wir eines Tages eine bläulich – weiße Rauchfahne im Raume, wo immer noch die toten Russen lagen. Das kam uns etwas seltsam vor und wir meldeten das auch sofort nach oben. Die Beobachtungen wurden fortgesetzt. Dabei stellten wir fest dass an heißen Tagen die Rauchentwicklung deutlich zu sehen war. Die Ansicht über diesen bläulichen Dunst ging ziemlich weit auseinander. Die Überlegung der Russe könnte einen Stollen unter dieser freien Fläche bis zum Fluss vorantreiben, hatten mich und einen Kameraden veranlasst, uns freiwillig für eine Erkundung ins Niemandsland zu melden.
Eines Nachts war es dann so weit: ein Schlauchboot lag bereit, die eigenen Posten waren verständigt und wussten von unserem Vorhaben. Wir ließen uns zuerst mit der Strömung auf die Sandbank treiben und dann hinüber ans andere Ufer. Dabei hatten wir nur Handgranaten und Pistolen in der Tasche. Das Boot wurde festgemacht und dann kletterten wir die kleine Böschung hinauf. Kriechend und auf Rufweite voneinander entfernt, ging’s dann etwa 150 Meter zur bezeichneten Stelle. Wir mussten durch kleine Senken, die von der HKL nicht ausgemacht wurden, und kamen so an die ersten Toten heran. Ein seltsames Gefühl beschlich uns und ein süßlicher Verwesungsgeruch hüllte uns ein. Wir unterhielten uns sehr leise, denn von drüben konnten wir schon die russischen Posten hören.
Nach weiterem Herumkriechen zwischen den Toten, denn sonst hatten wir dort nichts gefunden, entschlossen wir uns, eine Trophäe in Form einer russischen Gasmaske mitzunehmen und uns wieder abzusetzen. Es war nicht gerade angenehm, den süßlichen Leichengeruch weiterhin einzuatmen und die russischen Leuchtkugeln passten uns auch nicht in unseren Kram. Von einem Stollen hatte sich Gott sei dank keine Spur gezeigt und nach anschließend heftigen Diskussionen waren wir dann der Meinung, das die Toten die ja schon in Verwesung übergegangen waren durch intensive Sonnenbestrahlung diese bläulichen Dunst hervorrufen mussten.
Diese Feststellung genügte dann auch der Obrigkeit. Man war zufrieden und im Graben war wieder Ruhe eingekehrt.
Helmut Becvar