Die Maginot-Linie war Mitte Mai 1940 bei Sedan und Charleville auf einer Breite von 100 Kilometern durchbrochen worden.
„Durch diese Lücke strömen nun die deutschen Divisionen“, so der Wehrmachtsbericht. Auch unsere 260. Infanteriedivision soll dazugehören, denn der Vorbefehl besagt das wir schnellstens die Maas zwischen Givet und Nemur zu erreichen hätten. Vorläufig liegen wir aber noch in Greimelscheidt (heute: Lambertsberg) in der Eifel fest.
Erst am 24. Mai geht es weiter. An diesem Tage überschreiten wir um 15:30 Uhr in glühender Sonne mit „Hurra“ bei Dasburg das Flüsschen, welches dort die Grenze zwischen Deutschland und Luxemburg bildet. Auf der unversehrten Grenzbrücke steht grüßend der Regimentskommandeur, Oberst Fremerey.
Abends beziehen wir nach langem Anstieg zur Hochfläche Quartier in Fischbach. Die deutschsprachige Bevölkerung, die sehr zurückhaltend ist, gibt uns gegen deutsches Geld Butter, Milch und Brot. Unser Geld wird vom Rechnungsführer gegen die im besetzten Gebiet gültigen Reichskreditscheine umgetauscht.
Am 25. Mai um 12:00 Uhr verlassen wir Fischbach und marschieren weiter. Um 17:45 Uhr erreichen wir die belgische Grenze. Zahllose gefällte Riesen des durchschrittenen Waldes, die Hindernisse bieten sollten, sind beiseite geräumt. Kilometerweit begleitet uns diese Forstzerstörung. Die Straße ist schlecht. Unser Tagesziel ist Bourcy. Dort treffen wir auf die ersten Gefangenen. Ein Elsässer erzählt uns, unter den 16.000 Franzosen, die hier in einem Sammellager leben, habe es einen einzigen Engländer gegeben. Er wäre gelyncht worden, hätten ihn die Deutschen nicht in Schutz genommen. Die Nacht zum 26. Mai ist unruhig, mehrfach wecken uns heftige Detonationen von Fliegerbomben und kurz darauf das Bellen der Flugabwehrkanonen. Dazu kommt ein erbärmliches Quartier in dem wir hausen müssen. Der I. Zug „schläft“ über einem Schweinestall, es stinkt und grunzt die ganze Nacht.
Am darauf folgenden Sonntag wird es wieder viel zu marschieren geben, daran erkennen wir seit einiger Zeit unsere Sonntage. Es bleibt auch diesmal so: fast 60 Kilometer werden absolviert. Es herrscht eine diesige, gewittrige Schwüle. Vormittags, in die Marschpause hinein beginnt es heftig zu regnen. Wir marschieren endlos weiter durch einen dunstigen Wald auf aufgeweichtem Lehmboden. Die Erdklumpen machen die bleiernen Füße noch schwerer. Vor St.Hubert machen wir endlich große Rast. Sie dehnt sich bis abends aus, da die Vormarschstraße verstopft ist. Ein französischer Flieger kreist in schwindelnder Höhe über uns. Hunderte Flakwolken lecken nach ihm. Er entkommt in rasender Eile, entfesselt aber einen Massenauftrieb unserer Jäger. Überhaupt ist an diesem Sonntag Großeinsatz der Flieger. In zahlreichen Verbänden ziehen sie unaufhörlich schwer beladen frontwärts.
Aufbruch ist erst um 19:00 Uhr, wir marschieren noch 24 Kilometer bis Villance und kommen gegen Mitternacht an.
Am 27. Mai um 14:00 Uhr marschieren wir nach St.Denis-Louette. Es sind nur 24 Kilometer. Dabei gibt es strengste Luftschutzmaßnahmen, da kurz zuvor ein gegnerischer Bombenangriff auf das Dorf erfolgte. Häuser wurden zerstört, Wohnungen verwüsten, es gab 24 Tote. Nachts herrscht Rauchverbot. Es gibt ohnehin kaum noch Zigaretten. Am 28. Mai sind wir vormittags noch in St.Denis. Die Kapitulation Belgiens wird bekannt gegeben. Sie löst Freudentränen bei den wenigen, zurückgebliebenen Dorfbewohnern und Hochstimmung bei uns aus.
Dazu kommt, dass wir bis St.Pierre-Louette nur zwei Kilometer zu trippeln brauchen. Dass wir hier mehrere Tage festliegen werden, wissen wir jetzt noch nicht. Es ergibt sich offenbar aus den Umstellungen, die vor uns vollzogen werden können, weil die belgische Unterwerfung Kräfte freigab.
Bis zum 01. Juni haben wir als Aufenthalt in St.Pierre-Louette. Jeder Zug kocht, brät, wäscht. Die Kompanie erholt sich von den Strapazen der letzten Tage. Die ersten Flüchtlinge kehren zurück, sie sind froh ihre Häuser unversehrt vorzufinden. Im Ort liegt auch der Divisionsstab. Von dort holen wir uns die Rundfunknachrichten. Schließlich wird exerziert und zum Schluss sogar – man könnte es beinahe Freizeitbeschäftigung nennen – eine Kompanieübung mit Platzpatronen.
Am 02. Juni marschieren wir ziemlich plötzlich in St.Pierre-Louette ab, wir mussten sogar unsere halbfertigen Bratkartoffeln stehen lassen. Das ist doppelt ärgerlich, da der Nachschub an Verpflegung ins Stocken geraten ist. Es gab kein Brot, am Abend nur 3 Kartoffeln für jeden und ein wenig Hering aus der Dose. Auch für den Nachtmarsch gibt es kein Brot.
Wir marschieren in dieser Nacht über die französische Grenze. Und da in dieser Nacht ein Sonntag angebrochen war, ging’s noch ein langes Stück weiter, insgesamt 44 Kilometer.
Es regnete als wir in stockdunkler Nacht Frankreichs Boden und somit erstmals wirkliches Kampfgebiet betraten. Im Schein unserer Taschenlampen erkannten wir 13 deutsche Soldatengräber, daneben die zerschossenen Kampfwagen in denen sie den Tod fanden. Darauf wurde es in unseren Reihen nachdenklich still. Zum ersten Mal sehen wir dem Krieg in sein grässliches Antlitz.
Es dämmert als wir in Monthermé die Maas erreichen. Enge Gassen deren Häuser zum Teil zerschossen sind. Die Maasbrücke ist gesprengt, unser Übergang besteht aus einer Behelfsbrücke, von Pionieren errichtet. Jetzt stoßen wir auf immer neue Spuren des Kampfes. Wir verlassen das Maastal, entlang des Weges trichterübersäte Wiesen. Wie Perlen an einer Schnur reihen sich sauber nebeneinander Sprengloch an Sprengloch. Das ist die Arbeit deutscher Sturzkampfbomber – StuKa.
Wir kommen durch schwer zerstörte Ortschaften die leer und verlassen sind. In einem Wald finden wir eine vollständige französische Haubitzenbatterie. Die mächtigen Geschütze sind zum Teil umgestürzt, zum Teil zerstört. Jede Menge Material liegt herum: die Straßen des Krieges. Und immer wieder reizt uns der eklig-süßliche Geruch von Pferdekadavern zum Brechen. Sie quellen über von Millionen von Maden.
Um 08:00 Uhr erreichen wir endlich unser Ziel: Lonny. Um 10:00 Uhr schlafen alle, in Decken gewickelt, in einem Wäldchen.
Am 03. Juni marschieren wir in Lonny ab. Die Nacht ist klar, unseren Marsch verkürzen die Lichtkünste unserer Scheinwerfer und die Leuchtspurmunition der Flak, denn französische Fliege umschwirren uns noch eine Zeitlang wie lästige Fliegen.
Nach 34 Marschkilometern sind wir am Morgen in Signy l’Abbaye eingetroffen. Zwanzig Kilometer vor uns verläuft die Front. Ihr gegenüber hat, am jenseitigen Ufer der Aisne, der Gegner seine Verteidigungslinie aufgebaut.
Benno Tins