September 1941: Mit null Mann zur Stelle

Die 6. Gruppe des Pionierzugs der Stabskompanie unseres Infanterieregiment 470 erhielt am 01. September 1941 den Auftrag, am nächsten Morgen zur Erzwingung des Übergangs über die Desna mit der Spitzenkompanie des I. Bataillons vorzugehen und den Weg vor dem zugeteilten Sturmgeschütz von Minen zu räumen.

Sturmgeschütze unterstützen die Infanterie

Sturmgeschütze unterstützen die Infanterie

Nach wenigen Stunden Schlaf wird um drei Uhr morgens geweckt. In stockdunkler Nacht marschieren wir ab und erreichen bis zum Morgengrauen das nächste Dorf, vor dem die Gefechtsvorposten stehen. Nur wenige Leuchtkugeln und vereinzelte Schüsse unterbrechen die Bereitstellung, der Gegner hat noch nichts gemerkt. Dann fährt das Sturmgeschütz an, dem meine Gruppe den Weg zu räumen hat. Ich melde mich beim Zugführer ab, Leutnant Goller entlässt uns mit den besten Wünschen.

Um Sechs beginnt zuerst links, dann auch bei uns ein Artilleriefeuer wie ich es noch nicht erlebt habe, gleichzeitig brausen die ersten Stukas heran. Unser Angriff kommt zunächst gut voran, bis wir einen nur mit Buschwerk bewachsenen Höhenzug erreichen, von dem aus das Gelände etwa 3 Kilometer bis zur Desna abfällt. Das andere Ufer steigt steil an und ist oben mit dichtem Hochwald abgeschlossen: sehr ungünstig für den Angriff, wir werden mit unserem Sturmgeschütz ein ausgezeichnetes Ziel für die russische Artillerie abgeben!

Während ich selbst auf der linken Seite mit Jung und Dzertschia vorgehe, habe ich rechts Keppler, Hassler, Richter und Kümpfler eingeteilt. Schon bald hat uns der Gegner erkannt und feuert gut gezielt mit Artillerie auf das Sturmgeschütz. Nach einigen hundert Metern wird das Feuer jedoch derart heftig das sich die Kompanien links und rechts des Panzers an die Hundert Meter von der Strasse wegziehen.

Von allen Seiten heißt es „Sturmgeschütz nach vorn!“ Während die Kompanien vorerst liegen bleiben, müssen wir mit diesem weiter vor und geraten nun auch in das Infanteriefeuer: es pfeift und zischt nur so um uns herum. Jung und Dzertschia hat es bald erwischt und als ich mich um sie kümmern will, heult eine schwere Granate heran und schlägt vor mir ein. Ich spüre heftige Schläge am Oberarm und am Gesäß. Auch Richter im anderen Straßengraben hat etwas abbekommen.

Sturmgeschütz nach vorn!

Sturmgeschütz nach vorn!

Mit einem Satz bin ich bei ihm, muss zunächst um zwei große Fleischwunden an seinem linken Arm und dann zwei an der rechten Hand fast abgetrennt Finger verbinden. Ich verabschiede mich kurz von Richter und trage ihm Grüße an die beiden anderen Verwundeten auf. Das Sturmgeschütz hat gewartet und rollt erst dann weiter, als ich mich mit Kümpfler und Hassler wieder davor gesetzt habe und mit dem Sucheisen die Strasse weiter auf Minen prüfe. Keppler hat anscheinend die Nerven verloren und bleibt immer weiter zurück. Auch ihn erreicht das Schicksal: eine Granate schlägt in nächster Nähe ein, ihn erwischen viele Splitter vom Fuß bis zum Rücken. Als ich zu ihm komme ist er bereits ohnmächtig. Wir verbinden ihn und bringen ihn zum Arzt.

Hauptverbandplatz

Hauptverbandplatz

Das Geschütz ist inzwischen in Deckung gefahren. Nachdem das Feuer etwas nachgelassen hat, können auch wir etwas ausruhen. Von uns restlichen drei Mann hat jeder etwas abbekommen. Während Hassler einen Splitter aus dem Taschentuch zieht, der dieses mehrfach durchlöchert hatte, stelle ich bei mir kleine Splitter in Arm und Gesäß fest. Außerdem hat ein Splitter ein Magazin an der Koppel durchschlagen, meine Maschinenpistole hat ein Loch und Brotbeutel samt Sturmgepäck sind ebenfalls durchlöchert. Schließlich erweist sich auch noch das Lederhalsband des Fernglases am Hals hinten halb durchgeschnitten.

Von unserem Platz aus können wir dann beobachten, wie dir Kameraden unseres Pionierzuges ihre Floßsäcke zu Wasser bringen und Infanterie übersetzen. Das Artilleriefeuer hat sich derweil verlagert, so dass wir ein wenig aufatmen können.

Doch bald orgeln wieder Granaten auf uns zu und gleich eine der ersten schlägt in unmittelbarer Nähe ein: es erwischt diesmal Kümpfler und Hassler sowie einen Kameraden vom Sturmgeschütz. Kümpfler hat Splitter im Bauch und am ganzen Körper sowie an der Hand. Hassler hat mehrere Splitter in der Brust und im Arm. Ein gerade vorbeikommender Wagen der 14. Kompanie bringt beide zum Hauptverbandplatz. Noch nie in meinem jungen Leben ist es mir so schwer ums Herz gewesen, als ich mich beim Stellvertreter unseres ebenfalls verwundeten Zugführers, einem Feldwebel, zurückmelde: “6. Gruppe – Auftrag ausgeführt, mit einem Gruppenführer und null Mann zur Stelle!“

F. Barth

Kommentare sind geschlossen.