Die Panzerjägerabteilung 260 hatte im Juli 1941 den Auftrag erhalten, die vor zwei Tagen überquerte Bahnlinie in unserem Rücken, in ihrem südostwärtigen Verlauf nachhaltig zu zerstören und nach Möglichkeit dem schon mehrfach aus Richtung Mosyr angebraust gekommenen Panzerzug gleichzeitig das Handwerk zu legen.
Diese „fahrbare Batteriestellung“ hatte sich bei unseren Trossen und Nachschubeinheiten unbeliebt gemacht, da sie zusammen mit Kavallerie und scheinbar auch ausgebooteter Infanterie operierte. Damit hatte sie die Division praktisch von ihrer Nachschublinie getrennt. Auch das große Dorf Romanischtsche – für die Verhältnisse in den Pripjet-Sümpfen schon fast ein Straßenknotenpunkt – war plötzlich von sowjetischen Kräften besetzt worden, wobei dem Gegner unter anderem einige Lkw vom Tross des Divisionsstabes in die Hände gefallen waren.
Für Panzerjäger ein etwas ungewöhnlicher Auftrag! Auf Befehl des Abteilungskommandeurs blieb die schwere Kompanie nach Austausch einiger ihrer schweren Pak (französische Beute mit 4,7 cm Kaliber) gegen leichte 3,7 cm Geschütze im erreichten Raum zurück. Dazu alles an Menschen und Material was zur Durchführung des Auftrages nicht unbedingt erforderlich schien.
Die Abteilung rückte bei Dunkelheit in die Bereitstellung auf einem Waldweg, mit Anfang am westlichen Rand. Eine elende Quälerei denn die Russen hatten diesen Weg mit Baumsperren verziert, als wenn die sowjetische Prominenz dort eine Treibjagd geplant hätte. Aber es musste ein Weg für die Protzenwagen mit den Geschützen geschaffen werden, so gut es eben ging.
Der Schweiß floss uns in dieser schwülen Sommernacht in Strömen. Seitdem sollen die Rokitnosümpfe auch in den heißesten Sommern nicht mehr ganz austrocknen. Im ersten Morgengrauen war aber dann doch schon soviel freie Bahn geschaffen, dass bereits einige Kübelwagen – darunter der allseits berüchtigte „Stuka zu Fuß“ des Kommandeurs – vor dem Waldrand unter Zweigen versteckt hielten. Die Abteilung hätte, wenn auch nur in Schrittgeschwindigkeit, diese Schikanen jetzt überwinden können, umso mehr als auch etliche Baumstämme der ehemaligen Sperren jetzt die tiefen Fahrspuren ausfüllten. Nun konnte es an sich losgehen! Die Abteilung hatte allerdings die Weisung zunächst die Wiedereinnahme von Romanischtsche durch Teile des Infanterieregiments 480 und die Aufklärungsabteilung 260 abzuwarten. Dann erste sollten wir durch den Ort hindurch zu unserem Vorstoß antreten.
Halblinks voraus, jenseits einer Waldkulisse, plapperten beim Hell werden deutsche Maschinengewehre MG42. Das waren die 480’er! Halbrechts, mit schräger Front auf Romanischtsche konnte man im Gelände Bewegungen erkennen. Auch die Aufklärer gingen ans Werk.
Die Abteilung hielt genau auf die Lücke zwischen den beiden auf Romanischtsche angesetzten Verbänden. Um den Gang des Kampfes verfolgen und unverzüglich das Anrollen der Abteilung veranlassen zu können, ging der Kommandeur mit einer Handvoll seiner Männer als Winkerposten, zu Fuß – eine Schande für die rosa Waffenfarbe – auf dem nunmehr zum Heideweg beförderten bisherigen Waldweg vor.
Die Gegend kam allen fast heimatlich vertraut vor, denn immerhin war man ja vor ungefähr 48 Stunden schon einmal gewesen.
Wie für moderne Schlachtfelder vorgeschrieben, war von den Russen nichts zu sehen. Auch die Sicht auf den Ortsrand von Romanischtsche war durch die vorhin schon erwähnte Waldkulisse sowie einige Wald- und Buschgruppen verdeckt.
Das kleine Grüppchen marschierte also unbehelligt auf dem Wege weiter vor, von Zeit zu Zeit einen Mann stehen lassend um die Sichtverbindung nicht zu verlieren. Nach der befohlenen Uhrzeit hätte der Angriff der Infanterie eigentlich anrollen müssen. Aber es rührte sich nichts außer dem 3-Mann-Spähtrupp des Infanterieregiments 480 der aus der besagten Waldkulisse auftauchte.
Nach gebührender Feststellung, dass man wechselseitig kein „böser Feind“ sei, verschwanden die Späher wieder und der Kommandeur lies seinen letzten Winkerposten ausscheren, um die restlichen 100 Meter bis zum Ende der Waldkulisse im Alleingang zu bewältigen. Denn von dieser Ecke musste der Ort endlich einsehbar sein und es musste dann auch glücken, den richtigen Zeitpunkt für das Anrollen der Panzerjäger nicht zu verpassen.
Die Waldecke war erreicht und wie zur Begrüßung schwoll auch der Gefechtslärm erheblich an. Jetzt musste wohl die Infanterie angetreten sein. Zu sehen gab es auch etwas: allerdings keine Panjehütten von Romanischtsche und auch keine springenden Gestalten in Feldgrau! Stattdessen aber „jede Menge“ russische Panzer, die fast parallel zur vordersten Linie, zwischen dieser und dem Ortsrand, mit einem wirklichen „Affenzahn“ auf die Waldecke zu rollten. Und in prachtvoller Ordnung: Muster „Maiparade auf dem Roten Platz“! immer fünf der schaukelnden Ungetüme in einer Linie rumpelten sie durchs Heidekraut! Dabei kein Kettengeräusch, Motorendröhnen und Quietschen der Treib- und Lenkräder. Kein Wunder, es waren „Christie-Schnell-Tanks“ amerikanischer Bauart in sowjetischer Lizenz mit Gummilaufketten über 5 Zwillingsräder-Paaren und mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h im Gelände und – ohne die Gummiketten – von mindestens 90 km/h auf festen Straßen.
Zu ausgiebiger Betrachtung und gründlichem Vergleichen der Angaben mit dem „Panzererkennungsdienst“ blieb allerdings keine Zeit mehr denn der vorderste Kampfwagen war bereits auf etwa 50 Meter heran. Jetzt wäre ein kleines tragbares Funkgerät richtig gewesen, oder ein schönes Telefon, elfenbeinfarben mit Korkenzieherschnur hätte es notfalls auch getan. Alle möglichen Zeichen waren mit den Winkerposten vereinbart worden, nur an einen plötzlichen Panzervorstoß hatte natürlich kein Mensch gedacht!
Da gab’s nur eines: kurz kehrt und im Sprint zurück Richtung Wald! Denn der vorderste Russenpanzer hatte den Kommandeur offenbar auch schon im Visier, weil dieser zu allem Überfluss eine Gummibrille mit weißen Bändern über sein Schiffchen geschnallt hatte. Diese respektlosen Russen hielten ihn wohl für einen verlaufenen Schiedsrichter aus dem letzten Manöver! Alles Zick-Zack-Laufen, Hakenschlagen und Armwedeln fruchtete nicht; von den Winkerposten nichts zu sehen und am Waldrand war scheinbar der tiefste Friede ausgebrochen, so still war es dort.
Wie nur die Abteilung alarmieren? Eigentlich hätten ja die Winkerposten etwas merken müssen, denn sie kannten ihren „Alten“ schließlich gut genug um zu wissen, dass er keineswegs aus freien Stücken einen solchen Geländelauf hinlegen würde.
Weitere Marathon-Übungen erübrigten sich, denn die Lungen wollten nicht mehr und bedrohlich nahe zischten schon Feuerstöße aus zwei Maschinengewehren in Bäume und Büsche. Da blieb dem Kommandeur nur ein verzweifelter Hechtsprung in einen mangrovenartigen Sumpfbusch. Zünftige Deckung, nur gab’s noch kühlende Feuchtigkeit zusätzlich, sagenhaften Dreck und lästerlich stinken tat’s auch.
Der Panzer drehte ab, wohl in der berechtigten Annahme, den „komischen Vogel“ doch noch erwischt zu haben; schon tauchte am Waldrand die am Anfang der Kolonne eingeteilt gewesene Spitzen-Pak auf! Von 6 Mann gezogen und geschoben, mit geladenem Rohr und gespreizten Holmen. Und in einem Tempo wie es in der Kaserne oder in Baumholder undenkbar gewesen wäre! Die Winkerposten hatten die Lage also doch „gespannt“!
Zu einer solchen Situation pflegt der Verfasser von Kriegsberichten meist zu erklären, dass sich nun alles wie auf dem Exerzierplatz, geradezu wie am Schnürchen, abwickelte. Zumindest in diesem Falle war es jedoch anders, obwohl es sich auch um eine Feuertaufe handelte. Was sich im Verlauf der nächsten Stunde in einem unwahrscheinlichen Tempo und in unbeschreiblicher Turbulenz abspielte, war schneller erledigt, als alle Einzelheiten, die das Auge wahrnahm niedergeschrieben werden können.
Ohne jeden Unterschied von Dienstgrad und –rang wurde zugepackt und gehandelt. Offiziere schoben Fahrzeuge über Gräben und Löcher. Kurzerhand raus auf die freie Fläche oder seitwärts ins Unterholz. Die Fahrer wuchteten mit an den Geschützen im Mannschaftszug und die Männer von den I-Staffeln buckelten Munitionskästen. Von Aufregung oder Panik und Angst keine Spur – eher eine wettkampfartige, verbissene Betriebsamkeit.
Trotzdem viel Gebrüll, Gefluche und sogar manchmal Gelächter. Wenn am frühen Morgen schon der Schweiß literweise um die Baumsperren floss, so wurde er jetzt hektoliterweise vergossen. Und dieses ganze scheinbare Durcheinander wurde überdröhnt vom Rattern der Russen-MG’s und dem knallenden Peitschenschlag der Pak-Abschüsse.
Insgesamt konnten wohl nicht mehr als 5 Pak durch tiefen Sand und verfilztes Heidekraut in Stellung gewürgt werden, das heißt sie wurden, ein Stückchen vom Waldrand abgesetzt, einfach in die Landschaft gestellt. Eine Deckung gegen Feuer oder Sicht oder gar eine Tarnung spielte überhaupt keine Rolle, nur Schussfeld und Ziele waren gefragt. Und davon gab’s wirklich reichlich.
Pausenlos kurvten die Panzer mit wohl 30 km/h in dem Kusselgelände herum, ohne große Abstände und Zwischenräume. Dabei frönten sie der Eigenart, stets nur mit allen Waffen geradeaus in ihrer jeweiligen Fahrtrichtung vor sich her zu schießen. Dieser Brauch wurde von den Panzerjägern als sehr vernünftig empfunden, denn logischerweise hatte kaum einer der Kampfwagen den Drang, Marschrichtung auf den tief liegenden und sumpfigen Wald zu nehmen.
So boten sie dann stets ihre Flanke ungeniert zum Beschuss an. Begreiflich das dieses unerwartete Entgegenkommen erbarmungslos ausgenutzt wurde. Der Erfolg blieb auch nicht aus: das kleine Stückchen Heide vor Romanischtsche war bald betupft mit hell lodernden oder dunkel qualmenden Panzerwracks.
Natürlich entstanden auch einige weniger erfreuliche Situationen, von denen eine festgehalten zu werden verdient: der Kommandeur hatte gerade an einer Pak, die mitten auf dem Feldweg stand, einen ROA als Geschützführer mit einem betont leichten Anschiss versorgt, da dieser bei einem aus der Geländefalte überraschend auftauchenden Panzer zu früh geschossen hatte, so dass der Treffer nur an der Turmoberkante saß (er brannte aber trotzdem!) als etwa 5 Meter hinter ihnen sich ein weiterer Panzer durch eine Tannengruppe quälte. Dieser fuhr parallel zum Waldrand, zeigte also auch seine Breitseite, und drängelte sich zwischen zwei Kübelwagen, die am Wegesrand abgestellt waren.
Da zeigte der ROA, Unteroffizier Krämer, aber was er konnte: Geschütz mit geladenem Rohr um 180° herum gerissen, kurz gerichtet und – Feuer! Blattschuss zusätzlich zu den 4 Treffern, die man deutlich an der Turmunterkante erkennen konnte und die Kiste rührte sich nicht mehr vom Fleck! Sie brannte nicht, wie die Mehrzahl der abgeschossenen „Christie“. Sonst hätte es auch allerlei Flurschäden unter den abgestellten Fahrzeugen gegeben. Wenn aber der Panzer auch nicht brennen wollte, so begann doch einer der beiden Kübelwagen freundlich zu kokeln. Er hatte nämlich neugierig im Weg gestanden und der saubere Treffer war zunächst diagonal durch ihn hindurch gegangen, bevor er den Panzer stoppte. Zum Glück für den ROA gehörte der Kübelwagen nicht seinem eigenen Zugführer.
Die Gefahr war aber noch nicht gebannt, denn kaum dass der Panzer stand, als sich auch schon die Turmluke öffnete und eine Gestalt mit riesigen Kopfhörern und einem Arm voller Handgranaten erschien. Das hätte wohl manchen Ärger geben können, wenn nicht von irgend woher eine Maschinenpistole kurz aufgebellt hätte. Also noch ein „Holzauge“ das wachsam gewesen war. Die Handgranaten mit allem Zubehör verschwanden wieder in der Luke und ein neuer Panzer konnte „Maß genommen“ werden.
Übrigens stellte sich später heraus dass es sich bei diesem „Türmer“ um den sowjetischen Regimentskommandeur gehandelt haben muss, einen Oberstleutnant. Er fand sein Grab neben seinem Panzer.
Als schönster Erfolg des Tages wurde vermerkt, das demgegenüber die Panzerjäger keinen eigenen Verlust zu beklagen brauchten.
Der Rest ist schnell erzählt: der Panzerangriff wurde so gründlich abgewehrt, dass die „Christie“ nicht einmal mangels Masse ausweichen konnten. Ganze 9 Fahrzeuge scheinen entwischt zu sein, denn laut Gefangenenaussagen waren 60 Panzer angetreten und vor der Front lagen 51 Wracks, ein volles Dutzend vor dem Abschnitt der 480’er. Respekt vor den Kameraden der Infanterie, die ihre „Beute“ zum großen Teil mit Panzerbüchsen erledigen mussten. Der Rest, unglaubliche 39, der abgeschossenen Tanks lag in einem ziemlich dicken Pulk vor den wenigen Rohren der Panzerjäger. Nachdem auch noch eine Grüppchen ausgebooteter Panzerbesatzungen, die mit ihren Maschinenpistolen die Gegend unsicher machten, durch rasch formierte Streifen unschädlich gemacht worden waren, wenn sie nicht schnell genug die Pfoten hoch nahmen, trat Ruhe ein. Vielleicht unter dem erlittenen Schock war Romanischtsche von den sowjetischen Truppen geräumt worden; weit und breit waren keine Russen mehr zu sehen. Auch der Panzerzug blieb verschwunden und die Pioniere konnten in aller Ruhe die Bahngleise sprengen.
Der Verdienst an diesem Erfolg hatten alle Schützen, Fahrer, alle Kompanie-, Zug- und Truppführer, alle Staffelmänner, denn jeder einzelne gab sein Bestes.
Mit einem Wort: die ganze Panzerjägerabteilung 260!
Heinz Pfeiffer, damals Hauptmann und Kommandeur der Panzerjägerabteilung 260