Bei Romanischtsche ist am 24.Juli 1941 einiges „geboten“. Mit fünf Krankenkraftwagen rollten wir nach vorn, die Krankenträger auf den Trittbrettern stehend. Gut, dass wir das Gelände kennen, das wir acht Tage zuvor in umgekehrter Richtung passiert haben. Der Wald lichtet sich in vereinzelte Buschgruppen. Bevor er ganz aufhört, wird er jedoch wieder dichter und dort sollen die meisten Verwundeten liegen.
Was wir vorher an Artilleriefeuer gehört haben ist nichts im Vergleich gegen den Kampflärm, der hier herrscht. Überall Einschläge von Artillerie, Granatwerfern und Geschützen eines Panzerzuges, der uns schwer zusetzt. Dazu das helle Knallen der Pak und der Kanonen einiger Panzer, die hier im Wald eingebrochen sind. Wir müssen mit unseren Wagen mehreren gefallenen Kameraden ausweichen und dann geht es an das Einladen. Ein Leutnant winkt uns „Halt“: Dicht vor uns liegt die Infanterie! Ein weiteres Vorfahren ist unmöglich, da sowjetische Panzer dort alles, was sich bewegt, zusammenschießen.
Ein Wagen nach dem anderen wird beladen, neue werden angefordert. Haufenweise sind plötzlich Verwundete da. Ärztliche Arbeit ist hier aber unmöglich, wichtig sind nur ein Notverband, zur Schmerzlinderung eine Spritze und dann weg aus dem Feuer.
Zum ersten Mal sehe ich gehäuft diese schrecklichen Verwundungen: da ist ein Oberschenkel aus dem Hüftgelenk herausgerissen, wobei auch der Bauch verletzt ist und die Därme herausquellen, eben zehn Meter weiter hinter dem Busch passiert. Der Arme ist noch bei vollem Bewusstsein und schaut mich ängstlich an. Sein Transport ist der sichere Tod. Aber die Hoffnung fast aller dieser Todgeweihten ist der Hauptverbandplatz. Noch oft sehe ich dieses Elend und drücke manchem Kameraden die Augen zu. Die Verwundung kann noch so schwer sein, jeder glaubt dem Arzt: „Das ist nicht so schlimm, das sind nur Schreck und Schwäche, schlafe nur ruhig ein, morgen ist es besser“ – und sie schlafen dann friedlich ein…
Sanitätsunteroffizier Klotz ist fabelhaft: immer wieder bricht er mit seinen vierzehn Trägern auf und schleppt neue Verwundete heran. Wagen auf Wagen rollt nach hinten. Immer wieder kommt auch der Ruf „Panzer von vorn“, aber wir achten nicht mehr darauf, obwohl wir den Motorenlärm und die scheußlichen Granaten immer wieder vorbei ratschen hören. Plötzlich – gerade wird ein Trupp gefangener Russen vorbeigeführt, wir betten eben einen Verwundeten auf die Trage und ich habe die Spritze in der Hand – rollt ein Panzer direkt auf uns zu, hinter einem Busch unmittelbar vor uns hervorbrechend.
Da hilft nicht: Zwanzig Meter links seitlich ist eine kleine Baumgruppe. Dahin rennen wir alle, mit uns die eben gefangenen Russen. Mich umdrehend sehe ich den Panzer an dem Verwundeten vorbei weiter rollen. Doch halt! Am Ende der Lichtung steht eine Pak und da hat es ihn auch schon erwischt. Schwärzlicher Rauch und Flammen steigen empor, brennend stürzen zwei Mann der Besatzung und bleiben mit dem Kopf nach unten am Panzer hängen. Stundenlang brennt der dann, während wir mechanisch weiterarbeiten.
Allmählich wird das Feuer schwächer. Klotz ist schon zweimal mit den Sankas in das Dorf Romanischtsche gerollt und auch bei mir wird die Zahl der Verwundeten geringer. Am späten Nachmittag hört das Schiessen auf. Nass geschwitzt sind wir alle, grell steht die Sonne am wolkenlosen Himmel, zeitweise verschleiert durch den Rauch der brennenden Panzer.
Vom nahen Waldrand sehen wir zum Dorf hinunter: überall qualmende Panzerwracks, 51 werden gezählt. Unzählige tote russische Soldaten bedecken das Feld. Aber auch wir haben große Verluste: 92 Kameraden, vor allem vom II. Bataillon / Infanterieregiment 480, sehen die Sonne nicht mehr untergehen. Alles Kameraden mit denen wir im Winter in der gleichen Kaserne in Chalons sur Saône zusammen gewesen sind. 250 Männer haben wir im Laufe des Tages verletzt geborgen. Zwanzig Minuten nach Ende des Gefechts kann ich beim Regimentsgefechtsstand melden dass alle Verwundeten abtransportiert sind. Oberst Hahm erklärt mir spontan, dass er mich für das Eiserne Kreuz einreichen werde.
Dr. Sell