Es war Ende Juli 1943, als ich in Urlaub fuhr. Ich hatte Glück, denn in den nächsten Tagen trat eine Urlaubssperre in Kraft.
Es lag etwas in der Luft. Meine Gruppe im Stützpunkt 3 bei Kurkino übergab ich an meinen Kameraden Otto Baumann, nicht ahnend, dass ich nachher von meinem guten Kumpel kaum noch jemanden antreffen werde.
Am 7. August begann der russische Großangriff bei Wjasma. Daheim las ich im Wehrmachtsbericht, dass sich die 260. württembergisch-badische Infanteriedivision besonders bewährt habe. Bei meiner Rückkehr wusste auf der Frontleitstelle Smolensk niemand, wo sich die Division gerade befand, und man wollte uns Urlauber in eine Alarmeinheit stecken.
Aber welcher Landser wollte nicht zu seinem alten Haufen zurück? Was mir entgegenkam, waren Lazarettzüge. Als ich Fahrzeuge fand mit dem Hirschhörnle, war ich bald wieder unter Kameraden. Diese wenigen erzählten mir, wo der Panzergraben Gubino mehrmals den Besitz wechselte unter großen Verlusten. Ich suchte mir auf einem Hauptverbandplatz einen passenden Stahlhelm und meldete mich bei Leutnant Heller. Er führte den kleinen Rest des III. Bataillons, Grenadierregiment 480.
Er war Feldwebel in meiner Rekrutenzeit, wir kannten uns also. Er begrüßte mich mit den Worten: „Mensch Götz, worom bisch net daheim blieben?“ Das heißt er hätte mir gewünscht, nicht hierher zu müssen. In den nächsten Tagen lernte ich ihn als fähigen, tapferen Offizier kennen, leider fiel er in den kommenden Wochen.
Am Tag, ehe ich ankam, griff hier der Russe mit Kosaken erfolglos an. Von dieser Attacke lagen noch Pferde und Reiter im Gelände vor uns. Beim nächsten Angriff mussten wir uns absetzten. Heller befahl einen Gegenstoß und wir holten mit Hurra die alte Stellung wieder. Das war schon ein Unterschied, Urlaub und danach gleich wieder Rabatz.
Von der Gruppe, die ich übernahm, kannte ich niemand. Die Stellung war am Waldrand, und wir hatten Verluste durch Baumkrepierer. Die Russenstellung gegenüber sollte genommen werden, es kam ein Verband „Stuka“; dieser geriet in heftiges Flakfeuer und einer stürzte ab. Viel Wirkung hatte ihr Angriff nicht. Als wir dann mit vier Panzern angriffen, wurde einer gleich getroffen und brannte. Die anderen fuhren wieder zurück. Das Unternehmen wurde abgeblasen. Unsere Stellung wurde nachts aufgegeben. In diesen Tagen verlor ich den Glauben an ein siegreiches Kriegsende. Als wir in den Schützenlöchern hockten und die Schlachtflieger vom Typ IL 2 stundenlang über uns kreisen und uns ihr Gebrumm auf die Nerven ging, ließ sich kein deutscher Jäger sehen.
Als Neuzugang hatten wir nun eine versprengte Gruppe einer mitteldeutschen Division bei uns, die ihre Einheit verloren hatte. Und als diese in einen Einschlag einer Mörsergranate geriet, liefen sie in Deckung und ließen einen Kameraden liegen. Ich wartete den nächsten Einschlag ab, rannte dann hinaus, packte den Landser unter den Armen und schleifte ihn in Deckung. Atemlos kam ich an. Es hatte ihn übel zugerichtet: der linke Oberschenkel war über den Knie ab. Ich schnallte ab, zog meine Feldbluse aus und wollte mit meinem Hosenträger das Bein abbinden. Diese waren aber schon Kriegsware ohne Gummi, und als unser Zugführer Oberpauer hinzukam, löste er seine und wir knebelten vereint das Bein ab.
Unser fremde Kamerad sagte nur unter Schmerzen zu mir: „Unteroffizier, muss ich sterben?“ worauf ich ihn auf schwäbisch tröstete: „Kerle, was wirst den sterba müssa!“ Man hat ihn nach hinten geschafft und ich hoffe, dass ich ihm das Leben gerettet habe.
Ein gutes Jahr später war ich selber froh an gute Kameraden, als auch sie mich in der Zeltplane zurück schleiften, auch unter Einsatz ihres Lebens. Das war zweimal Kameradschaft. Dem Dialekt nach war der unbekannte Soldat aus Sachsen, und er wird bestimmt oft an mich denken, wenn er noch lebt. Und wie ein Märchen wäre es, wenn er diesen Bericht lesen würde und ich eine Antwort erhielte. Es gibt Zufälle…
Adolf Götz