Eine Pak-Bedienung ist schon ein kleines Häuflein, verschwindend klein im großen militärischen Rahmen. Aber ja kleiner das Häuflein, desto größer die Kameradschaft.
An diesem 13. November 1941 sollte sie sich beim letzten Angriff aus dem Brückenkopf Kremenki heraus wieder einmal bewähren.
Es war ein kalter Wintertag, der uns mit wenig winterlicher Bekleidung, nach kurzer, teils verunglückter Artillerievorbereitung, zum Angriff antreten sah. Wir gehörten zum 1. Zug der 14. Kompanie des Infanterieregiments 470 und waren dem III. Bataillon zugeteilt. Major Schütz wurde von uns, seit unserem ersten Einsatz bei ihm zu Beginn des Russlandfeldzuges in den Pripjet-Sümpfen, als unerschrockener Kommandeur hoch eingeschätzt.
Trotzdem war es uns nicht ganz geheuer in diesem verschneiten Wald. Wie klein war doch damals ein Bataillon und wie sahen wir doch schon recht herunter gekommen aus. Der Schwung des sommerlichen Vormarsches war längst dahin. Ausgelaugt waren Mann und Tier. Und trotzdem ging es vorwärts, wenn auch sehr beschwerlich und verlustreich. Hinter jedem Baum lauerte der Feind, auf den Waldwegen waren die typischen Holzkasten-Minen verlegt. Gegen Abend ging es nur noch durch dichten Wald. Ohne Weg und Steg. Wie geländegängig eine Pak sein kann – natürlich ohne Kfz. denn die hatten wir vorne schon längst nicht mehr – hat sich nicht nur an diesem Tage gezeigt. Der treue Panjegaul und die Männer der Bedienung haben auch diesen Unbilden erfolgreich die Stirn gezeigt.
Mitten in der Suche nach einem Weg begann plötzlich eine tolle Schießerei aus allen Richtungen. Wir waren auf eine russische Waldstellung oder etwas Ähnliches gestoßen. Es pfiff, zischte und erschauernd war vor allem das Krepieren der Explosivgeschosse, wenn sie in einen Baum schlugen. In einem Atemzug waren zwei Männer der Pak-Bedienung getroffen. Schütze 1 schwer durch die Brust, Schütze 3 durch Arm und Hand. Hier lag nun das kleine Häuflein in die Erde gekrallt hinter Bäumen und Unterholz. Während wir dem schwer verwunden Kameraden die erst Hilfe gaben, stammelten seine Lippen die Worte: „Last mich nicht im Stich!“ Wer kann solche Worte, ausgestoßen in Todesangst in einer fast aussichtslosen scheinenden Lage, nicht verstehen? Aber hier gerade zeigt sich ja immer wieder, was es heißt: Frontkameradschaft! Der gesunde Kamerad kämpft für den anderen mit, er versorgt ihn und nimmt die Stelle eines Arztes ein, er gibt ihm aber auch Seelische Kraft und ersetzt ihm den Geistlichen.
Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen, der Gefechtslärm verstummt. Nur noch vereinzelnd hört man Gewehrschüsse und Artillerieeinschläge. Wo liegt der Feind? Vor uns ja, aber auch rechts und links, hinter uns, überall lauert die Gefahr. Weiter geht es nun nicht mehr. Haben wir unser Angriffsziel erreicht? Wir wissen es nicht, fragen aber auch nicht danach. Wohl und geborgen fühlen wir uns in den knapp einen Meter tiefen Erdlöchern, die von den Russen ausgeworfen, nun uns Landsern als Unterschlupf dienen.
Trotz Müdigkeit gab es aber kein Verweilen. Es mussten ja die Verwundeten zurück geschafft, das Versprechen an unsere Kameraden eingelöst werden. Zwei Kameraden der Pak übernahmen also den Rücktransport aller Verwundeten. Auf einen Panjewagen wurden die Schwerverwundeten gelegt. Wer noch gehen konnte, tat dies ohne jedes Wort, ja die meisten von ihnen hatten noch ihre Gewehre dabei für alle Fälle. Der Zug setzte sich in Bewegung. Zwei Mann voraus als Sicherung, dann das Fahrzeug, dahinter die leicht Verwundeten. Das Ziel hieß Forsthaus, hier war ärztliche Hilfe.
Schweigsam trotte der Haufen durch den verschneiden dunklen Wald, ab und zu gespenstisch grell beleuchtet durch feindliche Artillerieeinschläge, die verstreut im Wald lagen. Dann wieder Stille, zuweilen unterbrochen von dem Stöhnen der Verwundeten. Nun ging der Weg links ab, also musste bald das Forsthaus kommen.
Plötzlich ein greller Schein und ein lauter Knall! Was war geschehen? Unser Panjewagen war auf eine Mine gefahren. Auch das noch! Die armen Kameraden sollten noch mehr vom Schicksal geprüft werden. Unser verwundete Schütze 1 war mit seinem schweren Lungenschuss noch etwa 5 Meter vom Wagen geschleudert worden und hatte von der Mine noch etliche Splitter abbekommen. Nun lagen sie also da, was tun? Was laufen konnte wurde sofort weiter geschickt zum Forsthaus um Hilfe zu holen. Weit konnte es nicht mehr sein. Die beiden Pak-Leute bemühten sich inzwischen um die anderen Kameraden und warteten. Aus der dunklen Nacht heraus wälzte sich schemengleich eine schwarze Masse auf uns zu. Es sind gefangene Russen, die von ein paar Männern zurückgebracht werden. Wir halten den Zug an, legen unsere Verwundeten je auf eine Decke und teilten die Gefangenen als Träger ein. So gelangen wir zum Forsthaus. Nach ärztlicher Versorgung geht es weiter, aus dem Wald heraus zum nächsten Dorf zum Hauptverbandsplatz. Hier wissen wir unsere Kameraden in Sicherheit und Pflege. Mehr können wir nicht tun. Ein Händedruck zum Abschied bekräftigt eine Verbundenheit für das ganze Leben.
In einer Panjehütte finden wir beide einen Unterschlupf. Köstlich schmecken die hier gefundenen Kartoffeln, auch mit der Schale. Licht haben wir keines. Todmüde sinken wir zu Boden, um sofort in tiefen Schlaf zu fallen. Mitternacht war inzwischen vorüber, der 13. November 1941, der letzte Vormarschtag der 260. Infanteriedivision war zu Ende gegangen.
Helmuth Huber, ehm. Uffz. 14. Kompanie / Infanterieregiment 470